Roman von Charlie Chaplin gefunden: "Footlights"

Der große Tänzer Nijinsky inspirierte Charlie Chaplin zu mehreren Filmen, sein Schicksal führte 1952 zum Alterswerk „Limelight“.
In Bologna tauchten 136 Manuskriptseiten auf: Grundlage für den Film "Limelight".

Das war gar nicht lustig, und es ist ein Wunder, dass er nicht einen seiner Wutausbrüche bekam:

Charlie Chaplin stand am Flügel. Er hatte eine Melodie für den Film "Limelight" (= Rampenlicht) im Kopf. Der Musiker Ray Rasch spielte sie. Rasch war wegen "Limelight" ein Jahr lang fast täglich im Haus in Beverly Hills.

Musik war für Chaplin alles und in den Filmen oft wichtiger als Dialoge. Er konnte nach Gehör klimpern, immer in F-Dur. Noten lesen konnte er nicht. Komponieren konnte er nicht.

Ray Rasch spielte – und Chaplin gab Befehle: "Jetzt die Geigen!" Da machte der Pianist streichende, zupfende Bewegungen. "Jetzt die Jagdhörner! Wo sind die Jagdhörner?" Als Chaplin nach der Harfe rief, reichte es Ray Rasch: "Hier gibt es keine Harfe, das hier ist nur ein Klavier!"

Charlie Chaplin soll in diesem Moment gezittert haben und dann in Selbstmitleid versunken sein. Die Realität ist so gemein …

Gebündelt

"Limelight" aus 1952 war Chaplins letzter Hollywood-Film. Zu unangenehm war Amerika geworden. McCarthy und katholische Veteranen sahen in seinen Filmen kommunistische Umtriebe. Da ging der Engländer nach Europa zurück.

Erst 60 Jahre nach der Premiere stellte sich heraus: Statt eines Drehbuchs hatte Chaplin eine 136 Manuskriptseiten lange Erzählung (soll sein: einen kurzen Roman) verfasst:

"Footlights" war die Grundlage für die melancholische Geschichte vom alten Clown, der das Rampenlicht der Londoner Music Halls verlassen muss – und dem Alkohol verfällt –, weil das Publikum nicht mehr lacht.

Der einzige Roman Chaplins, der morgen, Montag, auf auf Deutsch erscheint (mit Zusatzberichten, die noch interessanter sind als der Text), steckte in einem der vielen Papierstapel.

Man muss sich vorstellen: Chaplin hamsterte Ideen. Entweder notierte er selbst, was ihm einfiel – Nachteil: Nicht einmal er konnte seine Schrift entziffern. Oder seine Sekretärinnen schrieben in Steno mit.

Und jeder Zettel wurde aufgehoben, wanderte von Hollywood in die Schweiz, wo alles gebündelt wurde, in Packpapier eingelegt, verschnürt, vergessen.

Inzwischen sind sie restauriert und digitalisiert. Im Chaplin-Archiv in Bologna werden 85.000 Fotos, 10.300 Briefe, 1000 Manuskripte aufbewahrt ... darunter das "Footlights"-Original bzw. die Originale, denn der Perfektionist änderte den Text mehrmals.

Holzschuhtanz

‚"Footlights" hat mehr zu erzählen als "Limelight". Viele Szenen wurden für den Film gestrichen.

Ob so oder so: Das Drama war nur möglich, weil Chaplin selbst die Music Halls in Soho kannte. Hier hatte er seine Armut abgeschüttelt.

Mit neun begann er als Mitglied einer Holzschuhtanzgruppe inmitten von Badewannen-Jongleuren und Sängern. Als er 18 war, bewarf ihn das Publikum mit Orangenschalen, weil er als Humorist versagte. Das vergaß er nie.

Und den vollkommene Tänzer Nijinsky vergaß er nicht. In einer Sondervorstellung hatte er Chaplin Sprünge gezeigt, die in eine fremde Welt führten. Kurz danach wurde bei Nijinsky Schizophrenie festgestellt. Das Rampenlicht ging aus. Vielleicht erzittert man bei solchen Gedanken. Vielleicht versinkt man in Selbstmitleid. Die Realität ist gemein.

Charlie Chaplin: „Footlights – Rampenlicht“. Herausgegeben v. David Robinson. Übersetzt v. Lotta Rüegger, Holger Wolandzt. Verlag C. Bertelsmann. 304 Seiten. 30,90 Euro.

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