Roman: Hitler neben Kreisky an der Wand
Im Hauptberuf ist Fritz Dittlbacher vielbeschäftigter Chefredakteur des ORF-Fernsehens. Es bedurfte einer zweimonatige Babykarenz, um ihn auch zum Romanautor zu machen: Abends, wenn seine kleine Tochter schlief, arbeitete er an seinem schriftstellerischen Debüt. "Kleine Zeiten" erzählt die Geschichte seiner Großmutter Grete. 1921 geboren, lebte sie ein Leben, das "glaube ich, symptomatisch ist für viele Menschen", sagt Dittlbacher. Die Armut in den 20er-Jahren, die politischen Unruhen der 30er, die Hitlerzeit, der Wiederaufbau – Dittlbacher erzählt all das am Beispiel seiner nur 42 Jahre älteren Großmutter, bei der er phasenweise aufwuchs.
Die große Zeit
Das Buch setzt ein beim Kennenlernen der Urgroßeltern und führt über die harte, arbeitsame Kindheit der jungen Grete in die zentrale Phase des Romans: die Hitlerzeit, der Krieg. Grete war eine Sympathisantin, eine junge Frau, die – von der allgemeinen Aufbruchsstimmung angesteckt – im Arbeitsdienst die glücklichste Zeit ihres Lebens verbrachte. Es war die "große Zeit", wie Dittlbacher auch ein Kapitel seines Buches nennt. Dass die Urgroßmutter wegen Beleidigung der Obrigkeit ins KZ gesperrt wurden, änderte an dieser Wahrnehmung nichts – beziehungsweise erst Jahrzehnte später.
Die "kleine Zeit" kam danach. "Die zweite Republik beginnt mit gebücktem Gang", schreibt Dittlbacher. Und beschreibt, wie die Götzen der Nazizeit noch lange überlebten: Der geliebte Stiefgroßvater hatte ein Kreisky- und ein Hitlerbild nebeneinander in der Werkstatt hängen. Die frische Liebe zur Sozialdemokratie und die verflossene zu Hitler stellten keinen Widerspruch dar: "Als er das Bild bekommen hat, da war mein Großvater noch jung, ein Bursch, und da war er eben für den Hitler. Und als Erwachsener, als gestandener Mann, als Opa, vierzig Jahre später, ist er für den Kreisky. Und? Wo ist das Problem?"
Es gehe ihm in "Kleine Zeiten" auch darum, eine Generation zu erklären, sagt Dittlbacher. Und "die Menschen in ihrer Würde und ihren Überzeugungen ernst zu nehmen. Auch wenn es eine würdelose Zeit war." Die wichtigsten Leser habe der Roman in drei seiner vier Kinder schon gefunden.
Historiker
Dem Text zugrunde liegen Archivrecherchen des promovierten Historikers und ein etwa 15-seitiges Dokument, in dem die Großmutter selbst Erinnerungen festhielt. Sie starb noch vor Erscheinen des Romans – war aber mit dem Projekt einverstanden und las eine fast fertige Fassung. Ihre Reaktion? "Sie hat gesagt, es ist sehr leicht zu lesen und flüssig geschrieben. Wie man ein Kind lobt, das in der Volksschule einen Aufsatz geschrieben hat."
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