„Ich bin alt und damit der Erde schon sehr nahe!“ Das vermutet Roland Neuwirth als Grund dafür, dass ihn das radio.string.quartet ausgewählt hat, bei dem ersten Album aus einer Reihe über die Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft im Fokus zu stehen.
Dafür hat Neuwirth, der als Erneuerer des Wienerliedes gilt, mit dem Streichquartett einige seiner Schrammel-Lieder umarrangiert und neu aufgenommen, aber auch neue geschrieben und mit „Dodndaunz“ ein bewegendes Stück über das Ende des Lebens verfasst.
„Der Tod beschäftigt mich seit meiner Kindheit“, erklärt Neuwirth im KURIER-Interview. „Ich bin halt ein Wiener, und der wird mit dem Tod geboren. Er weiß, dass der zum Lebensweg dazu gehört. Meine Sicht darauf hat sich auch überhaupt nicht verändert. Ich habe nach wie vor Angst vorm Tod. Aber das ist das Ego im Menschen, die Angst, dass man nicht mehr existiert. Ich glaube nicht, dass im Sterben Schmerzen das Ausschlaggebende sind, sondern das Verlassen des Gewohnten. Aber als Wiener sauft man sich das weg. Oder man lacht darüber.“
Identitätskrise
Diese Einstellung – ein Abbild der Mentalität vieler Wienerlieder – ist aber nicht das, was Neuwirth einst zu diesem Genre gebracht hat. Als Sohn eines Bildhauers und Restaurators in der Wagenburg von Schönbrunn begann er schon als Kind, Mundharmonika zu spielen. Mit 13 lernte er Gitarre, mit 18 spielte er Bass in einer Jazzband. Danach wandte er sich dem Blues zu.
„Mit 23 hatte ich dann eine Identitätskrise. Da bin ich draufgekommen, dass ich kein Schwarzer bin. Ich wollte ja so gern aus Louisiana sein, bin aber aus Hernals. Und nachdem die Musik unmittelbar mit der Sprache zu tun hat, war das mit dem Blues nicht stimmig. Da habe ich begonnen, mich mit der Musik meiner eigenen Tradition zu beschäftigen, und unsere Musik studiert. Die Wienerliedsängerin Maly Nagl war sowieso immer meine Göttin, und ich bin draufgekommen, wie geil diese Musik ist. Und damit meine ich die Wiener Lieder aus der Ringstraßen-Zeit, wo es eine blühende Kunstszene gab, und nicht die Wiener-Lieder der 50er- und 60er-Jahre. Die waren ja unerträglich. Aber die haben von mir eine Watschn gekriegt, weil ich über Sachen gesungen habe, die mich was angehen und so das Wienerlied in die heutige Zeit gebracht habe.“
Während des Studiums gründete Neuwirth die Extremschrammeln, wurde mit ihnen nicht nur zum Fixstern der heimischen Szene, sondern war sogar in den USA auf Tour. „In Los Angeles sind die Leute auf den Sesseln gestanden und haben uns nicht von der Bühne gelassen. Ähnlich in Seattle und sogar in San Diego. Da waren viele Deutschsprachige und Juden im Publikum. Ich habe so tolle Juden kennengelernt, die noch so mit dieser Tradition verbunden waren. Bei einer Familie in Massachusetts sind stapelweise Noten von Hermann Leopoldi am Klavier gelegen. Ich war so tief traurig, dass man solche Leute bei uns rausgeschmissen hat.“
Essenz
Stundenlang kann Neuwirth heute von den verschiedenen Spielarten der Wiener Musik sprechen, die in der Zeit des kaiserlichen Imperiums entstanden und „Teil einer allumfassenden Kulturlandschaft sind, zu der auch die Architektur gehört“. Er ärgert sich über Journalisten, die all das mit den Dialekt-Liedern gleichsetzen, denn „die Essenz der Wiener Musik ist eine ganz eigene Melodik und nicht der Dialekt“.
Mittlerweile unterrichtet Neuwirth an der Universität für Musik und darstellende Kunst das Fach „Wiener Musik“. Er bedauert, dass die heimische Sprache bei der Jugend immer mehr bundesdeutsche Eigenheiten annimmt und dass die populäre Musik so viele amerikanische und elektronische Einflüsse hat: „Das ist eine Monokultur, die mir wehtut. Aber ich habe in meiner Klasse viele junge Leute, die gerne in die Saiten greifen und ganz anders denken. Deshalb hoffe ich schon, dass ich, wenn ich einmal am Sterbebett liege, weiß, das es weiter geht. Dass das Steinderl, das ich ins Wasser geschmissen habe, doch ein paar Wellenkreise zieht.“
Auftritte geplant
Auch live sorgt Neuwirth, der 2016 aus gesundheitlichen Gründen mit den Extremschrammeln auf Abschiedstour ging, jetzt wieder dafür, dass er weiter geht. „Ich habe eine ganz seltene Form von Epilepsie, die haben weltweit nur 600 Leute. Es ist nicht die Form, wo man am Boden liegt, das nicht. Es waren einfach Aussetzer. Aber mit Tabletten und Chemo habe ich das jetzt ganz gut in den Griff bekommen.“
Deshalb hat er wieder ein paar Auftritte geplant, wird am 10. 7. in Litschau und am 29. August im Wiener Konzerthaus mit dem radio.string.quartet „Erd’“ vorstellen. Und zum Jubiläumskonzert anlässlich seines 70. Geburtstags im Herbst werden auch die Extremschrammeln wieder auftauchen: „Ob das eine einmalige Sache bleibt, weiß ich noch nicht.“
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