Rockmusik und Autoritätskritik, das sind zwei Seiten der selben Medaille: Rock zeigt Eltern, Boss, der Gesellschaft und den althergebrachten Moralvorstellungen den Stinkefinger. Bzw. am Anfang den Hüftschwung, als es noch galt, verklemmte Sexualmoral aufzubrechen. Und später dann den Vogel, als die jugen Menschen zunehmend draufkamen, dass ihre Eltern auch nicht gescheiter waren.
Nun aber wird dieser Stinkefinger von jenen wirren Virenkritikern, die sich im Internet zusammenfinden und dann, zuweilen mit Judenstern und rechtsradikaler Begleitung, gegen Maske und Impfung auf die Straßen gehen, zunehmend gegen eine weitere Autorität gestreckt - gegen "das System".
Euer Protest ist falsch
Jene verschwörungstheoretisch unterfütterte und nicht zufällig mit einem faschistischen Begriff benannte Einbildung einer weltumspannenden Verschwörung also. Die wird ausgerechnet von jenen durchschaut, die auch Virenübertragung durch 5G fürchten oder glauben, dass die Erde flach ist (und von einem Schlagersoulsänger und einem veganen Koch). Sie denken, sie tragen den Protest von einst weiter.
Was wiederum die Rockmusikbranche in die irgendwie unangenehme Lage bringt, sich mit der Vernunft und der Wissenschaft, also zwei Autoritäten, solidarisieren zu müssen. Und jenen, die ihre Freiheitssongs für gesundheitliche Gefährdung missbrauchen, erklären zu müssen: Euer Protest ist falsch.
Es war schon mal mehr Rock'n'Roll.
"Verletzung meiner Freiheit"
Und immer, wenn es in der Rockmusik ein Fettnäpfchen gibt, findet sich ein Gallagher-Bruder, der reinhüpft: Noel Gallagher weigert sich, eine Maske wegen der Corona-Pandemie zu tragen. „Wenn ich mich infiziere, dann liegt es an mir“, sagte der frühere Oasis-Gitarrist („Don't Look Back In Anger“) im „Matt Morgan Podcast“. Er empfinde die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften in Großbritannien als Verletzung seiner Freiheit.
Auch Van Morrison, der Grantler des Blues, kündigt Protestsongs an, die sich gegen die Einschränkung persönlicher Freiheiten aussprechen sollen. "Born to Be Free," "As I Walked Out" und "No More Lockdowns" sollen die heißen. Man wolle "uns versklaven", heißt es darin. Und die Menschen sollen "für sich selbst denken" dürfen. (Auch mancher Opernstar hat schon eine große Corona-Verschwörung entdeckt.)
Gegen die Engstirnigkeit
Da braucht es schon einige argumentative Kurven, um hier etwas klarzustellen: Rockmusik rebellierte einst gegen irrationale, festgefahrene, unbegründet e gesellschaftliche Engführungen. Kurz: gegen Engstirnigkeit.
Nun aber soll sie der Soundtrack einer neuen Art von Engstirnigkeit werden: Eines antiwissenschaftlichen Sektierertums, oftmals zusammengebraut mit vager Naturreligion und extremer Esoterik, das sich nicht für, sondern eben gegen die Aufgeschlossenheit stellt. Wohlgemerkt: Es gibt fundierte und gut argumentierte Kritik am Umgang mit Corona, auch von wissenschaftlicher Seite. Die schaut aber anders aus als jene, die einen "Regierungsmaulkorb" beklagen und Impfungen ablehnen.
So schräg das auch klingt: Nun erst sieht man, wie sehr Rock'n'Roll und Wissenschaft am selben arbeiteten, am klaren Blick auf das, was ist.
Und das ist eben nicht das Zusammenschustern von Weltbildbrocken, das Gegen-Intellektuelle. Darauf lässt sich der Rock mit seiner reichen Historie nicht mehr reduzieren. Laute Gitarren sprechen, das merkt man besonders deutlich, wenn sie gerade nicht zu hören sind, von einer Wahrheit. Der Kampf gegen Impfungen oder Masken, gegen "Soros und Rothschild", gegen "pädophile Eliten" und all den anderen Kram nicht.
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