Roger Waters hat kürzlichdeutlich gemacht, wie nachhaltig die Corona-Situation die Rock-Szene verändern könnte, als er ankündigte, seine für heuer geplante Tour auf 2021 zu verschieben. „Ich habe sehr, sehr lange darüber nachgedacht, ob ich das dann noch machen will“, erzählte der Ex-Pink-Floyd-Bassist dem Rolling Stone. „Ich bin jetzt 77 Jahre alt. Ich kann mir aber schwer vorstellen, eine Arena-Show zu spielen, wenn ich 80 bin. Einige von uns haben ihre letzten Shows schon längst gespielt.“
Corona könnte also das Ende der großen Konzerte mit den Legenden der Szene bedeuten. Denn diese Acts stellen eine Tour nur zusammen, wenn sie damit mehrere Jahre auf der ganzen Welt unterwegs sein. Aber dazu muss das Virus komplett ausgerottet sein. Außerdem sind die meisten dieser Musiker im Alter der Hochrisikogruppe.
„Natürlich sind ältere Künstler in Bezug darauf, wieder auf Tour zu gehen, sehr vorsichtig“, erklärt John Giddings. Er bucht mit seiner Solo-Agency von London aus Europatourneen für Künstler wie Iggy Pop, Sting und Genesis. Zwar haben auch Letztere ihre so lange herbeigesehnten Reunion-Shows auf April 2021 verschoben. Aber Giddings ist skeptisch, ob das dann klappt.
Aber auch der Nachwuchs wird Probleme bekommen. Experten schätzen, dass 90 % der Clubs mit Live-Bühnen diese Krise nicht überleben. Zwar kann ein Newcomer sein Publikum heutzutage auch online finden, aber das generiert kaum Einkommen.
Das sind aber nicht die einzigen Strukturen der Musik-Szene, die gerade zerbrechen. Auch in der Hintergrund-Industrie von Shows gehen spezialisierte Experten verloren. Davon ist Nicole Massey, eine erfahrene Produktionsleiterin, die mit Coldplay und Rod Stewart gearbeitet hat, überzeugt. Anfang des Jahres bereitete sie sich mit 100 Mitarbeitern aus den Bereichen Sound, Licht und Catering auf dem Probe-Campus von Lititz bei Pennsylvania auf die erste Arena-Tour von Billie Eilish vor. Die kam aber nur drei Shows weit.
Als Produktionsleiterin ist Massey verantwortlich dafür, dass an jedem Showtag um 17.00 Uhr alles für den Auftritt bereit ist. „In Raleigh kam kurz nach 17 Uhr der Anruf, dass wir heute noch spielen dürfen, morgen aber nicht mehr“, erzählt sie. „Da begann mein Assistent, die Flüge zu buchen, damit am nächsten Tag 100 Leute heimfliegen können, die freischaffend sind, denen von einem Tag auf den anderen Honorare für ein Jahr weggebrochen sind. Die Truckfirma, die unser Equipment transportiert hätte, liefert jetzt Lebensmittel aus. Und von den Roadies, die in der Zwischenzeit eine fixe Anstellung gefunden haben, werden nicht alle zurückkommen, wenn sie feststellen, dass es ihnen besser gefällt, nur 40 Stunden in der Woche zu arbeiten, als wie auf Tour üblich 192.“
Das ist auch die Überlegung von Produktionsleiter Gerhard Kampits, der die behördliche und planerische Organisation von Veranstaltungen leitet, etwa das „Stadion“ für die Rolling Stones in Spielberg gebaut hat. Er war auf Rockkonzerte spezialisiert, hat sich aber schon umorientiert. „Ich habe anfangs mit Rettungsorganisationen Covid-19-Präventionskonzepte für Veranstaltungen erstellt. Jetzt kümmere ich mich um Schulungen für Sicherheitskonzepte und Risikomanagement. Dabei komme ich mit wesentlich weniger zeitlichem Aufwand auf den gleichen Ertrag.“
Kampits denkt, dass das spezialisierte Know-how bei der Organisation von Rockshows stufenweise verloren gehen wird: „Hilfsarbeiter wie Stagehands und Stapelfahrer sind schon weg, weil sie in der Tiefkühllogistik gefragt waren. Die sind zwar leicht zu ersetzen. Aber Neue haben keine Erfahrung, und so blöd das klingt: Flightcases schieben muss man auch können. Mit Oktober verlieren wir die Leute, die diese Hilfsarbeiter verwaltet haben: Schichtführer beim Aufbau, Runner, die wissen, ob sie für den Verpflegungswunsch eines Künstlers zum Meinl am Graben oder zum Großhandel fahren.“
Besonders wichtig ist diese mittlere Führungsschicht bei der Security. Ein Beispiel: Ein plötzlich aufziehender Sturm vor Jahren am Nova Rock. Die Räumung des Geländes wird angekündigt. Innerhalb von 15 Minuten ist der Platz leer und alle Planen sind von den Absperrungsgittern abmontiert, damit der Sturm durchblasen kann und nichts umwirft. So etwas klappt nur, wenn jeder in dieser mittleren Führungsebene genau weiß, was zu tun ist.
Matthias Brezina, operativer Leiter der Security-Firma Se2-Solutions, erklärt: „Wir haben Supervisor für Bereiche wie Backstage, Bühne oder Einlass. Die machen das alle sehr lange, kennen ihren Bereich in- und auswendig. In Notsituationen kommt es genau darauf an.“
Auch Brezina glaubt, dass sich diese Leute jetzt umorientieren müssen, kann aber keine neuen anlernen. „Wenn ich einen Einlass-Supervisor heranziehe, stelle ich ihn zu einem erfahrenen dazu. Wenn ich im Normalbetrieb zehn Konzerte im Monat habe, habe ich ihn in drei Monaten so weit, dass er den ersten Dienst alleine machen kann. Wenn die Shows aber wie jetzt nur sukzessive anlaufen, braucht das ewig.“
Für das auf Konzerte spezialisierte Unternehmen Starlite-Catering von Alexander Duffek ist auch die Lagerhaltung ein Problem. Er fährt mit Herden, Kühlgeräten und Spülmaschinen bis hin zu Geschirr, Servietten und Zahnstochern auf, wenn er zum Beispiel beim Nova Rock zwei Wochen lang mehr als 1000 Leute verköstigt, die dort auf- und abbauen.
„Ich habe 3500 Euro Fixkosten für die Lager-Miete. Die Tiefkühlhäuser habe ich schon abgedreht und die Waren einem Spezialitätenhändler gegeben, um den Strom zu sparen. Ich bin durch den Härtefallfonds bis März mit 2000 Euro halbwegs unterstützt. Trotzdem muss ich im Jänner anfangen, meine Ausrüstung abzustoßen.“
Bis Mitte 2021 kann Manuel Engelberger mit seiner Redline Enterprise Firma durchhalten, die Sound- und Lichtanlagen vermietet, die gerade in Lagerhallen so groß wie zwei Fußballfelder verstauben. Er hat einen finanziellen Polster und sein Business nur zu 50 % auf Rockkonzerte aufgebaut. Die anderen 50 % kommen aus Messen und Firmenfesten. Aber: „Auch davon habe ich zur Zeit nur fünf Prozent der Einnahmen von früher, weil sich keiner etwas planen traut, weil so unsicher ist, ob er das in zwei Monaten noch durchziehen kann. Ich habe aber 50.000 Euro Fixkosten im Monat – nur, damit ich das Equipment nicht verkaufen muss und die Autos halten kann.“
Auf internationaler Ebene gibt es längst Diskussionen, wie man die für 2021 geplanten Shows Corona-sicher machen kann. Nicole Massey hat diesbezüglich regelmäßig Zoom-Besprechungen mit Kollegen. „Wir diskutieren, ob man in den Trucks die Flightcases nicht in die Höhe stapelt, damit die lokalen Stagehands nicht so nahe zusammenstehend schwere Kisten heben müssen. Oder, ob es Sinn macht, eine Krankenschwester mitzunehmen, vielleicht einen Hygienebeauftragten, der Oberflächen desinfiziert und oft benützte Einrichtungen wie Türgriffe und Handläufe überprüft. Nichts davon ist bestätigt. Aber es wird definitiv neue Regeln geben, wenn wir wieder loslegen können.“
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