Roald Dahl: Liebe Mama

In den jetzt veröffentlichten Briefen an seine Mutter lernte er das Geschichtenerzählen.

Liebe Mama,alle meine fünf Warzen sind weg ...Liebe Mama,übrigens habe ich die meisten Kastanien an der Schule, 273, noch vom letzten Jahr. Ich habe am meisten Kastanien in der Schule ...

So fing es an, 1927, Roald Dahl – der später berühmte Kinderbuchautor – war zehn und wohnte in einem strengen englischen Internat.

Dass er dort geschlagen wurde, auch vom Direktor, gab er seiner Mutter nicht bekannt. Er schrieb ihr Beruhigendes.

Man lamentiert nicht. Schon deshalb nicht, weil ihr Mann – Roalds Vater – gestorben ist; und weil ihre Tochter – Roalds Schwester – gestorben ist. Der Sohn schont Mutter. Er rettet sie.

Lieber Meldung machen, dass die Schokolade schmeckt, die sie ihm geschickt hat. Roald Dahl mochte Schokolade, er MUSSTE "Charlie und die Schokoladenfabrik" schreiben.

Lieber sich bedanken für die vielen Feigen, die er bekommen hat. Damit werde er die Verstopfung, die ihn plagte, beseitigen ...

Gebündelt

Dahl schrieb der Mutter über den Zeitraum von vier Jahrzehnten Briefe, wöchentlich. Anfangs unterzeichnete er mit "Boy". Als sie 1967 hochbetagt starb, bekam er seine 600 Briefe zurück, gebündelt in den Originalumschlägen. Von Sofie Magdalena Dahl, der gebürtigen Norwegerin, sind keine Antwortschreiben erhalten.

"Love from Boy" ist eine kommentierte Auswahl mit Fotos und Zeichnungen. Sehr schön zu lesen. Man schaut Roald Dahl beim Wachsen zu – 1,96 m groß wurde er, und während der Jagdfliegerausbildung ragte sein Kopf über den Windschutz des Flugzeugs – er musste sich alle paar Sekunden zum Atmen ducken.

"Love from Boy" ist eine tolle Geschichte, die durch Verschweigen fast zu einem fiktiven Werk wird. Denn selbst als er im Krieg gegen Hitler über der libyschen Wüste abstürzte und mit Kopfverletzungen monatelang im Spital lag, machte er in Briefen auf Entertainment.

Dass er die Hollywood-Schauspielerin Pat Neal heiratete, war ihm nur einen Satz wert. Erst als Tochter Olivia an Masern starb und seine Frau einen Schlaganfall erlitt, hörte er mit dem Verheimlichen und Beschönigen auf.

Roald Dahl, der mit fantastischen Büchern auffiel, ehe er im Alter mit judenfeindlichen Bemerkungen aus dem Rahmen fiel, lernte das Erzählen durchs fleißige Briefeschreiben. Dazu gehörten auch ganz wesentliche – Abenteuer:

Liebe Mama,

beim Anblick der Niagarafälle drückte mir die Blase.


Roald Dahl:
Love from Boy“
Herausgegeben von Donald
Sturrock.
Übersetzt von Jan Schönherr.
Rowohlt.
349 Seiten.
23,60 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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