Richard Yates: "Gut gemacht, Dad!"

Richard Yates: "Gut gemacht, Dad!"
Anfang September erscheint "Eine gute Schule". Weltliteratur. Zu Lebzeiten hatte Richard Yates keinen Bestseller. Erst nach seinem Tod 1992.

Erfolg ist nur ein Trick, und Richard Yates beherrschte ihn nicht.

Er war bloß exzellent.

Das reicht selten.

Jahrzehnte schmerzte es den Amerikaner, dass das US-Magazin New Yorker seine Geschichte "The Canal" nicht abdruckte.

Erst 2001, da war Yates neun Jahre tot, ließen sich die Redakteure erweichen, und Sharon, die Jüngste der drei Töchter aus zwei gescheiterten Ehen, stieg in den Keller ihrer Wohnung, wo sie Vaters Asche in einer Schachtel aufbewahrt.

Sharon gab der Schachtel einen Schubs: "Gut gemacht, Dad!"

"Eine gute Schule" hat er sogar sehr gut gemacht: Der erstmals übersetzte Roman aus 1978 gehört zum Allerbesten aus seinem Werk ("Zeiten des Aufruhrs", "Easter­parade", "Elf Arten der Einsamkeit").

Er ist untypisch, weil er Hoffnung lässt – weil es damals für Richard Yates noch Hoffnung gab: "Eine gute Schule" klingt autobiografisch und ist es großteils.

Erste Zigarette

Richard Yates: "Gut gemacht, Dad!"

Es spielt die Mutter mit (sie kommt auch in anderen Büchern vor) und ihre Selbstlüge, eine große Bildhauerin zu sein – obwohl sie geschmacklose Gartenfiguren formte.

Es spielt der "Danny Boy"-singende Vater mit, geschieden zwar, doch rackerte er sich ab, damit sein Bub die Privatschule besuchen konnte.

Und die erste Zigarette wird angezündet, weil Yates in seinem armseligen Gewand wenigstens dadurch cool aussehen wollte ...

Vor seinem Tod übrigens standen in dem Loch, in dem er wohnte, nur ein Rollbett, eine Schreibmaschine, ein Klappsessel, viele Whiskeyflaschen – und eine Salatschüssel, übervoll mit ausgedrückten Zigaretten ...

Es ist ein feines Geschenk, gleich nach dem Roman Rainer Moritz’ erste deutschsprachige Yates-Biografie "Der fatale Glaube an das Glück" lesen zu dürfen (siehe unten) .

Es ist ein schreckliches Geschenk, weil man erfährt, wie es weiterging mit Yates bzw. nicht mehr weiterging:

Zuletzt sah man den Schriftsteller im alten Mazda durchs öde Tuscaloosa (Alabama) fahren, rechts eine Zigarette, links das Sauerstoffgerät. E saugte abwechselnd, während er lenkte ...

Die "gute Schule", das war eine ohne Renommee. Yates’ Alter Ego Bill Grove war im ersten Jahr der Außenseiter, den die Kollegen zwangsmasturbierten (sagt man das so?).

Aber bald verging der Druck, Angst haben zu müssen bzw. gefallen zu wollen. Als Chefredakteur der Schulzeitung gewann er Ansehen und Gefallen am Schreiben.

Mit wenigen Worten werden Schicksale aus der Zeit vor Weltkriegsbeginn derart intensiv dargestellt, dass man meint, es mit alten Bekannte zutun zu haben.

Vor allem der einsame Weg des an Kinderlähmung leidenden Biologielehrers, dessen Frau recht ungeniert mit dem Französischlehrer schläft, geht unter die Haut und nicht mehr weg.

Wie der Behinderte versucht, sich aufzuhängen, es aber nicht schafft, den Tisch wegzutreten ("Nicht mal so ein einfaches Scheißding kriegst du hin") – Yates hat nichts mehr davon, aber das ist Weltliteratur.

KURIER-Wertung: ***** von *****

Jussi Adler-Olsen – "Verachtung"

Richard Yates: "Gut gemacht, Dad!"

"Verachtung" heißt Band vier der Serie um Kommissar Mørck und seinen geheimnisvollen, im Büro betenden arabischen Assistenten Assad – von den Spezialisten des Online-Magazins Krimi-Couch.deseit Beginn als "coolstes dänisches Duo seit Pat und Patachon" bezeichnet.

Wo reiht sich der neue Krimi ein? Die Qualität ist immer nahezu gleich (und hoch), die persönliche Hitparade schaut so aus:

1. Platz: "Erbarmen" (weil der erste Auftritt, 2009, noch immer nicht verblasst ist)

2. Platz: "Verachtung" (der Neue)

3. Platz: "Erlösung" (der dritte Roman, 2011)

4. Platz: "Schändung" (der zweite Roman, 2010, ist völlig weg aus dem Gedächtnis).

Was bis 1961 auf Sprogø geschah und nicht aufgearbeitet wurde, wird hier der "Verachtung" preisgegeben.

Jussi Adler-Olsen, 1950 in Kopenhagen geboren, ist entsetzt, dass seine Landsleute heute – schon wieder – Menschen aussortieren und auf eine Insel sperren wollen, diesmal Ausländer und Hells Angels.

In den Anstalten auf der dänischen Insel Sprogø landeten ab 1923 Mädchen, die der damals gängigen Moral nicht entsprachen und deshalb gern als "debil" eingestuft wurden; etwa 15-jährige Schwangere, mit denen die eigenen Eltern nichts mehr zu tun haben wollten. Frei kamen sie erst nach erzwungener Sterilisierung.

Verständlich, wenn sich eine Frau später für den Wahnsinn rächen will und giftigen Tee serviert.

... und im Keller der Polizeidirektion sitzt der Mørck, zuständig für alte ungeklärte Fälle (und zu unwichtig für ein Büro weiter oben). Er hat Durchfall und überlegt, wieso sich seine Sekretärin Rose manchmal für ihre Schwester ausgibt.

Auch Rose leistet ihren wertvollen Beitrag zum Erfolg der Thriller.

Durchfall ist sowieso immer gut für einen Helden.

Dass man nach 100 von mehr als 500 Seiten sagt: Alles klar, was soll da jetzt noch Spannendes, Überraschendes kommen? –, das ist großartig: Weil noch nichts klar ist. Nichts.

Sehr spannend ist das. Und herzlich willkommen, weil Jussi Adler-Olsen wütend die Fäuste ballt.

KURIER-Wertung: **** von *****

Rainer Moritz - "Der fatale Glaube an das Glück"

Richard Yates: "Gut gemacht, Dad!"

Der Biograf, Leiter des Hamburger Literaturhauses, musste viel vom Amerikaner Blake Bailey übernehmen, der 2003 Richard Yates’ Leben recherchiert und ihn dadurch wiederbelebt hatte.

Samt seiner Art, überall Asche auf den Boden zu stauben.

Aber Rainer Moritz gibt das in "Der fatale Glaube an das Glück" offen zu und macht das Beste daraus, indem er über Yates parallel zu dessen Büchern erzählt.

Im deutschen Sprachraum ist noch nicht so bekannt, wie sehr der mit Verspätung geliebte Schriftsteller in seinem Werk von Persönlichem ausging.

Nicht eins zu eins, aber Yates habe sich immer an den Widrigkeiten seiner Existenz abgearbeitet (so Moritz).

In "Eine gute Schule" – siehe oben – geschah es überdeutlich.

Aber es gilt vom Debüt an: "Zeiten des Aufruhrs", verfilmt mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio (was das Buch 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung in die Bestsellerliste der New York Times katapultierte).

Das gilt bis zu seinem letzten, noch nicht übersetzten Roman "Cold Spring Harbor" (1986), und selbst auf die Erzählungen trifft es zu.

Beispiel "Ach, Joseph, ich bin so müde: Die Bildhauerin Helen, das ist Yates’ Mutter, die tatsächlich einmal den Auftrag bekam, eine Büste von Roosevelt anzufertigen. Mit dem Ergebnis:

"Wenn man ihn (den Kopf; Red.) aushöhlen und oben einen Schlitz hätte hineinschneiden können, dann wäre er durchaus als Sparbüchse geeignet gewesen."

Rainer Moritz’ Biografie, die gleichzeitig mit "Eine gute Schule" in den Handel kommt, ist ein unaufdringlicher Begleiter auf der Reise zu einem schwierigen Menschen und zu dem, was von ihm bleibt.

KURIER-Wertung: **** von *****

Patricia Grace – "Potiki"

Richard Yates: "Gut gemacht, Dad!"

Mit Literatur aus Neuseeland wird man sich im Oktober ausführlich beschäftigen: Neuseeland ist heuer Gast der Frankfurter Buchmesse, und dann wird niemand mehr fragen, ob "die dort" überhaupt Literatur haben.

Als kleiner Vorgeschmack: "Potiki" ist Maori-Poesie in Roman-Form UND eine politische Handlung, wie es die heute 75-jährige Patricia Grace – die Mutter eine Weiße, der Vater Maori – beim Schreiben immer macht. Anders formuliert: Man ist dabei, wenn der alte Schnitzer die Figuren, die im Baum verborgen sind, herausholt; und hört zu, wenn der "Dollarmann" zu den Ureinwohnern an die Küste kommt und ihnen Touristen schmackhaft machen will (denen sie dann in den Hotelanlagen die Klos putzen dürfen).

Selbstbewusst verwendet Patricia Grace, die sich den Ureinwohnern zugehörig fühlt, in den englisch geschriebenen Texten Maori-Wörter. Sollen sich damit beschäftigen, die Leser. Sollen was lernen. Hinten im Buch stehen die Übersetzungen. Schön klingt das: aroha = Liebe, waiata = Lied, potiki = das jüngste Kind.

KURIER-Wertung: **** von *****

Kommentare