Richard Yates: Der Geruch von alter Mayonnaise

Richard Yates.
"Cold Spring Harbor" war sein letzter Roman – und ist einer seiner allerbesten.

Er war so dankbar, wenn man ihn in seinem Stammlokal "Crossroads" ansprach, wo er gebackenes Fleisch aß und soff und rauchte (vier Packerln täglich), sodass eine Salatschüssel der beste Aschenbecher für ihn war, groß genug für einige Stunden.

So dankbar, wenn man seine Bücher kannte, am Ende waren es neun, und sie ein bisschen lobte.

Richard Yates wohnte damals in New York und schrieb in großer Einsamkeit seinen letzten Roman "Cold Spring Harbor" (1986).

Es ist auch der letzte, der ins Deutsche übersetzt wurde. (Seufz.)

"Cold Spring Harbor" hat diesen Funken Hoffnung, den man in Yates’ Spätwerk findet: Man muss nicht so enden wie er. Nicht unbedingt.

Ein Bub (Nebenfigur, allerdings gibt’s keine Nebenfiguren, die werden alle entwickelt, die sind alle jemand!) ... der 17-jährige Phil verlässt Mutter, Schwester, Schwager und den kleinen Ort Cold Spring Harbor an der Nordküste von Long Island: Er darf in eine Privatschule, weit weg von zu Hause. Das könnte seine Rettung sein.

Die 1940er.

Im Radio wird oft Jerome Kerns Lied aus "Show Boat" gespielt:

We could make believe,

I love you.

Only make believe

that you love me.

Das passt zu den Jungen genauso wie zu den Alten.

Untauglich

Die Alten: Sie haben schon verloren. Riechen nach ranziger Mayonnaise. Bewegen sich in einer Wolke aus Enttäuschungen und Selbstbetrug. Brauchen Whisky.

Und sind sooo peinlich – oder hätte jemand gern eine Mutter, die sich, während sie sich unterhält, immer die linke Brust hält?

Nehmen wir Herrn Shepard. Er hat es beim Militär nicht weit gebracht und musste mit knapp 50 in Pension, weil seine Augen schlecht wurden. Jetzt geht er brav einkaufen, er kocht jeden Tag ... Seine Frau ist ein Fall für die Psychiatrie.

Der Sohn, Evan Shepard, heiratet zu früh. Schnell ist ein Kind da. Evan ist Maschinenschlosser in einer Fabrik. Das Ingenieursstudium verschiebt er (und verschiebt es). Als Soldat im Krieg kann er sich nicht bewähren – wegen eines Trommelfellrisses ist er untauglich.

Nach der Scheidung – er ist knapp über 20 – heiratet er wieder: Seine Frau ist bereit, das Happy End zu erzwingen. In Filmen funktioniert’s doch auch. Das Paar lebt mit ihrer Mutter zusammen. Das ist diejenige mit der Hand auf der Brust. Das nächste Baby ist unterwegs.

Evan Sheperd geht fremd.

Mit seiner Exfrau.

Die beste Chance, die er hat, ist: Er könnte in der Fabrik zusätzlich Einzelteilkontrollor werden.

In Deckung

"Cold Spring Harbor" war zu Yates’ Lebzeiten kein Erfolg. Er ging nach Tuscaloona, Alabama, als Universitätslehrer.

Was heißt "ging"!

Mit dem Rollstuhl fuhr er zu seinem 700-Dollar-Auto, mit dem er Bier holte. Man ging in Deckung: Mit einer Hand lenkte er, mit der anderen rauchte er, das Sauerstoffgerät lag bereit.

Zehn Jahre nach seinem Tod wurde Yates berühmt: "Zeiten des Aufruhrs", "Eine besondere Vorsehung", "Easter Parade" ... Es war eine traurig-schöne Zeit mit seinen Romanen.

Kommentare