Andrea Breth: "Es ist an der Zeit, das System Oper zu überdenken"

Andrea Breth: "Es ist an der Zeit, das System Oper zu überdenken"
Die Regisseurin ist eine von fast 100 Autorinnen und Autoren des Buches "Die letzten Tage der Oper". Hier lesen Sie ihren Beitrag.

„Es ist an der Zeit, das System Oper zu überdenken“, schreibt die herausragende deutsche Regisseurin Andrea Breth in diesem Beitrag zum Buch „Die letzten Tage der Oper“, den sie während der Pandemie verfasst hat.

Der Anlass für das Buch: Die Oper, mächtigste Form der Künste, ist ordentlich in die Defensive gerutscht. Ihre einst unübertroffene Überwältigungszauberei können andere längst besser; ihre Mitwirkenden – dazu zählen Künstler, Regisseure, Publikum, Kritiker –, die eigentlich gemeinsam am Gesamtkunstwerk arbeiten sollten, schauen einander mit wachsendem Missmut an, werfen einander Regiequatsch, Denkfaulheit, relatives Unvermögen („ich hab’ noch die Callas gehört!“) und vieles mehr vor. Statt Hochgenuss für die Ohren und Augen dreht sich an vielen Tagen und vielen Orten ein schlecht gelaunter Opernzirkus um sich selbst, um die immer gleichen Werke und die immer gleichen Fragen.

Und jetzt?

An welchen Schrauben und Rädern der Opernmaschinerie man drehen müsste, damit das ganze Werkl noch eine schöne Zukunft hat oder ob „Die letzten Tage der Oper“ angebrochen sind: Wer diese Fragen – 100 Jahre nach Erscheinen der „Letzten Tage der Menschheit“ – von weltweit absolut führenden Vertretern der Branche beantwortet haben will, der hat mit diesem Buch ein Juwel in der Hand (dass einer der Herausgeber der stv. KURIER-Chefredakteur Gert Korentschnig ist, sei vermerkt, hat mit dem Urteil aber nichts zu tun).

„Die letzten Tage der Oper“ versammelt Essays von Cecilia Bartoli, Jonas Kaufmann, Riccardo Muti, Andrea Breth (siehe Abdruck rechts) und vielen anderen; dazu (Bild-)Statements bzw. Texte von Künstlern wie Georg Baselitz (siehe Illustration unten), Jonathan Meese, Marina Abramović oder William Kentridge; Kritiker- und Intendantenstimmen (u. a. von Peter Gelb, Met Opera), Opernliebhabern wie Tilda Swinton, Laurie Anderson und vieles mehr.

Andrea Breth: "Es ist an der Zeit, das System Oper zu überdenken"

Entwurf für „Parsifal“: Georg Baselitz,  Ohne Titel, 2017,  Tuschepinsel, Lavis, Tusche und Aquarell auf Papier, 50 x 66,2 cm

Sie fühlen auf fast 500 Seiten einer Kunstform den Puls, die zu den höchsten Leistungen des Menschen zählt, die größten Glücksgefühle zu geben vermag – und dennoch von existenziellen Fragen geplagt ist. Und das Buch macht klar, was an ihr verloren ginge.

Andrea Breth: "Es ist an der Zeit, das System Oper zu überdenken"

Denise Wendel-Poray, Gert Korentschnig, Christian Kircher:
„Die letzten Tage der Oper“.  488 Seiten, 45 Euro. Skira Verlag (erscheint im Dezember weltweit auf deutsch und auf englisch. Bereits zu bestellen  auf skira.net) 

Unser Geist ist infiziert von Andrea Breth

Man hat den Eindruck, dass die meisten Intendanten, Operndirektoren und Operndramaturgen die Kunst der Bühnenschöpfer nicht oder viel zu wenig zur Kenntnis nehmen. Die meisten Intendanten sind Verwalter, sie verwalten auch die Künstler, sie entscheiden, ob ein Künstler für dieses oder jenes Werk richtig sei, bedienen sich des Marktes, verwechseln Kunst mit Kunstgewerbe, kaufen sogenannte Stars ein, die die szenischen Proben zu lange finden. Sie meinen, ihre Stimme und ihr Bekanntheitsgrad reichten aus. Nun, in der Krise, sollte man meinen, dass ein Innehalten, ein grundsätzliches Nachdenken, über die Opernarbeit eintreten könnte. Dem scheint aber nicht so zu sein.

Ein Künstler ist dann gut, wenn er sich selber bestimmen kann und nicht nur „eingekauft“ wird, wenn der sogenannte Spielplan steht. Jeder Autor, Maler, Filmemacher entscheidet, womit er sich beschäftigen möchte bzw. muss. Im Opernbetrieb – schon allein das Wort „Betrieb“ sollte stutzig machen – reden zu viele Menschen mit. Die tatsächlichen Künstler haben äußerst selten etwas zu sagen. Erwartet aber wird ein gutes Ergebnis. Was jedoch ein gutes Ergebnis sein soll, ist auch sehr beliebig. Ist es gut, weil die Verkaufszahlen stimmen? Ist es gut, weil das Feuilleton seinen Segen gibt?

Es ist an der Zeit, das System Oper zu überdenken.

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