Ein Revolutionär des Kinos: Regisseur Jean-Luc Godard gestorben
Der französische Regisseur Jean-Luc Godard ist 91-jährig gestorben. Das berichtet die französische Zeitung Liberation. Mit „Außer Atem“ schuf Godard ein Meisterwerk, das 1960 die Filmsprache revolutionierte. Danach experimentierte der französisch-schweizerische Altmeister unermüdlich mit Form, Inhalt und den Sehgewohnheiten der Zuschauern.
Godard gehörte zu den bedeutendsten und eigenwilligsten Regisseuren Frankreichs. Während seine Gangstergeschichte „Außer Atem“ und „Die Verachtung“ über einen Drehbuchautor mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli noch Handlungen im klassischen Sinn besitzen, bricht er ab Mitte der 1960er-Jahre in Filmen wie „Weekend“ und „Die Chinesin“ immer häufiger die Erzählstrukturen auf. Seine Geschichten werden fragmentarischer, Bilder und Szenen verlieren ihren inhaltlichen und zeitlichen Bezug zueinander.
Seine Phase der totalen Abkehr von gängigen Gestaltungsformen läutete er mit „Die fröhliche Wissenschaft“ ein. In dem gestalterischen und gedanklichen Kinoexperiment treffen sich Emile Rousseau, ein Nachfahre des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau, und die Tochter eines ermordeten kongolesischen Freiheitskämpfers. Sie diskutieren über die Unterdrückung der Gesellschaft und den Sinn von Bildern und Worten. Der Film wurde in der Zeit kurz vor den Studentenunruhen in Frankreich im Mai 1968 gedreht. Nach 1967 sprach Godard auch nicht mehr von Filmen, sondern von Bildern und Tönen.
Formale und stilistische Freiheit
In seinem Spätwerk setzt Godard radikaler denn je sein Streben nach formaler und stilistischer Freiheit fort. So auch in seinem jüngsten Werk „Bildbuch“, einem Kaleidoskop von Bildern und Filmausschnitten, die mit Godards Kommentaren, teilweise auch mit einer kakophonen Tonspur unterlegt sind. Godard spricht dabei Themen wie Krieg und Kriegsverbrechen an und zeigt unter anderem Morde der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Während in den vorherigen Collagen „Film socialisme“ und „Adieu au langage“ noch Protagonisten vorkamen, verzichtet der Altmeister in seinem Werk „Bildbuch“, für das er 2018 in Cannes mit einer Sonder-Palme ausgezeichnet wurde, ganz auf handelnde Personen.
Godards Filme sind Manifeste eines intellektuellen Kinos, in denen es die Geschichte und die Reflexion über die Geschichte gibt, die Erzählung und die Infragestellung der Erzählung. Und dazu gehört die Frage nach Bild und Sprache und ihrer Beziehung zueinander. Godard lehnt die Idee ab, dass Sprache und Wörter Kopien der Realität sind.
In Paris geboren, in der Schweiz aufgewachsen
Godard wurde am 3. Dezember 1930 in Paris in eine protestantische bürgerliche Familie geboren, die in Frankreich und der Schweiz lebte. Nach dem Schulbesuch in Nyon im Schweizer Kanton Waadt ging er nach der Scheidung seiner Eltern zurück nach Paris, wo er Ende der 1940er-Jahre die Nouvelle-Vague-Mitbegründer François Truffaut, Jacques Rivette und Eric Rohmer kennenlernte. Zusammen mit ihnen rief er die kritische Filmzeitschrift „Cahiers du Cinema“ ins Leben.
Sein Charakter war ebenso schwer durchschaubar wie sein Werk. Mehrere Biografen haben sich mit seiner Person auseinandergesetzt, zuletzt Antoine de Baecque. Der Nouvelle-Vague-Spezialist und Filmkritiker beschreibt Godard als geborenen Provokateur: distanziert, brillant, lustig, unerträglich und giftig, besonders Freunden und Verwandten gegenüber. Godard war zweimal verheiratet. Beide Ehefrauen, Anna Karina und Anne Wiazemsky, spielten in mehreren seiner Filme mit.
Ab Anfang der 80er Jahre lebte Godard zurückgezogen in der Schweiz in Rolle am Genfersee. Nur selten zeigt er sich in der Öffentlichkeit, und wenn, dann oft überraschend wie in Cannes, wo er seine Pressekonferenz zu „Bildbuch“ via FaceTime abhielt. Der Pariser Intellektuelle verlangt von seinen Zuschauern, dass sie mitdenken, sich konzentrieren, weder nach logischen noch nach zeitlichen Bezügen suchen. Godard will die Wahrnehmung des Films infragestellen und eine Analyse der eigenen, subjektiven Wahrnehmungsweise in den Mittelpunkt rücken. „Wenn man nicht versteht, was der Meister sagen möchte, dann ist auch das kein Problem: Jeder nimmt mit, was er sieht oder fühlt, Jean-Luc Godard stellt lediglich das Material zur Verfügung“, schrieb der deutsche Filmkritiker Andreas Borcholte einmal über Godards Kino.
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