Nicht viel los an der Hope Road 56 in Kingston. Die Besucher, die vor dem ehemaligen Wohnhaus der Reggae-Legende Bob Marley auf den Einlass warten, sind an zwei Händen abzuzählen. Immerhin. Seit einigen Jahren firmiert die zweistöckige Villa als Museum und rangiert beim Sightseeing-Trip ganz oben. Wer einmal in der Haupststadt von Jamaika war, weiß, dass sich Strandurlauber nur selten in diesen Teil der Karibikinsel verirren. Außer man ist Musikfan durch und durch. So wie Fabrizio aus Mailand, der die einstige Wirkungsstätte des Musikers ganz genau inspiziert: Vom Zimmer mit den zahlreichen Goldenen Schallplatten an den Wänden bis zum letzten Abstellplatz für
Marleys blauen Landrover Defender.
"Willkommen, willkommen in der Hope Road, der Straße der Hoffnung! Willkommen im Bob Marley Museum, Jah Rastafari!", macht Tourguide Susan Stimmung. So wie sie sich vor den Gästen wiegt, ahnt man, dass Reggae hier mehr als nur Musik ist. "Es ist eine Lebenseinstellung", singt sie, die wohl nicht einmal dreißig Jahre alt ist und das überlebensgroße Idol der Weltmusik nur vom Hörensagen kennt.
Am 11. Mai ist es 35 Jahre her, dass der prominenteste Sohn der Insel tragisch gestorben ist. Nicht einmal in seiner geliebten und viel besungenen Heimat, sondern in einer Klinik in Miami, da sein sich rapide verschlechternder Gesundheitszustand beim Heimflug aus Europa einen Zwischenstopp in Florida notwendig gemacht hat.
Einen Zwischenstopp legte auch US-Präsident Barack Obama bei seiner Karibik-Visite letzten April ein. "Wir waren die ersten, die er in Jamaika besucht hat", pocht Susan auf der Bedeutung, die Bob Marley nach wie vor genießt. Tourguide Natasha hat den hohen Gast damals von Raum zu Raum geleitet. Seither ist sie hier eine gefragte Person. Aber auch Susan macht den Job zum Erlebnis. Fotografieren ist nicht erlaubt, aber man darf einen Blick ins Allerheiligste werfen: Das in einem Raum eingerichtete Aufnahmestudio sowie ins Schlafzimmer. Im einen entstanden Klassiker wie "Get Up, Stand Up" und "I Shot the Sheriff", im anderen kids wie Ziggy, Cedella und Stephen Marley.
Bob war ein totaler Womanizer, wird später Bus-Chauffeur Jason berichten und von dessen kurzer aber folgenschwerer Affäre mit Cindy Breakspeare erzählen. Die gebürtige Kanadierin wurde 1976 in London zur Miss World gekürt und lebte gleich vis-a-vis von Bob und Rita Marley. 1978 brachte Cindy Sohn Damian auf die Welt, eines von gut zwei Dutzend Bob Marley zugeschriebenen Kindern.
A Brief History...
of Seven Killings", ist der Titel eines Romans von Marlon James. Der 45-jährige Autor ist der erste jamaikanische Schriftsteller, der mit dem britischen Booker Prize ausgezeichnet wurde. Im Vorjahr. Im Zentrum des Buches steht das versuchte Attentat auf Bob Marley im Dezember 1976. Eine Tat, die vor 40 Jahren alle Musikfans schockte. Eine Tat, die hier an der Hope Road 56 nach wie vor ganz präsent ist. Tourguide Susan weist in einem anderen Raum auf die Einschusslöcher jener Schusswaffen hin, die damals Bob, seine Frau Rita und seinen Manager Don Taylor verletzt haben.
"Listen. Dead people never stop talking." So beginnt Marlon James' Roman, der bis dato noch nicht auf Deutsch vorliegt. Muss ja auch nicht. Diesen Satz dürfte man auch so überall auf der Welt verstehen. Und er stimmt ja auch. Besonders auf Jamaika. Besonders in Kingston, wo im Geiste Bob Marleys eine ganze Musik- und Tourismusindustrie entstanden ist. Sowohl das mehrere Straßenblöcke entfernt gelegene "Tuff Gong"-Plattenlabel als auch der Bezirk Trenchtown, in dem Bob Marley seine Kindheit verbracht hat, freuen sich über Besucher aus den USA und aus Übersee.
On the road
Der größte Stolz von "Tuff Gong" sind der originale rastarote Lkw aus dem Jahr 1977, mit dem Bob Marley und seine Wailers damals ihre Musikanlage über die Insel kutschiert haben. Und eine ebenso imposante Hammond B3-Orgel. Alles gewartet und betriebsbereit. Jah, Rastafari! Größere Feierlichgkeiten sind heuer nicht geplant. Kingston hat Bob Marley am 6. Februar des Vorjahres hochleben lassen. Da hätte er seinen 70. Geburtstag gefeiert. Und man muss ja nicht jedes Jahr zum Gedenkjahr erheben. Das besorgen ohnehin die anderen. Etwa die "New York Times", die bereits 15 Jahre nach Bob Marleys Tod (ironisierend?) prophezeit hat: "Im Jahr 2096, wenn die ehemalige Dritte Welt die ehemaligen Supermächte besetzen und kolonisieren wird, wird man Bob Marleys wie eines Heiligen gedenken." Erst dann?
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