Quasthoff: "Alles nur Vermarktungsscheiß"

Thomas Quasthoff im Interview
Thomas Quasthoff über entkitschte Weihnachten, Salzburg und die Musikindustrie.

Ein Mix aus amerikanischen Christmas-Klassikern und deutscher Poesie: Das ist "Mein Weihnachten". Mit dem Album des Grammy-Preisträgers Thomas Quasthoff kann man es sich vor dem knisternden Kamin gemütlich machen.

Heiter-besinnlich klingt schon "It's Beginning To Look A Lot Like Christmas". Dem Sänger ging es bei der CD um "diese zurückgelehnte Gelassenheit, das Spiel mit der Fluffigkeit, die Reduktion auf das Wesentliche."

Zum Durchatmen

Wärme und Trost spendet Dietrich Bonhoeffers "Von guten Mächten gut und still umgeben". Zu Herzen gehen auch die Gedichte u. a. von Heine, Rilke, Brecht, Kästner, Ringelnatz und Trakl. "Diese Autoren haben mich ein Leben lang begleitet. Sie alle haben einen anderen Blick auf das Weihnachtsfest, frei von Klischees, und schauen genau hin, worum es hinter Konsum und Kitsch geht: um Liebe, Familie und Demut", sagt Quasthoff im KURIER-Gespräch.

Ein Soundtrack zum Zu-Sich-Kommen. Obwohl man sich mehr als nur vier Lieder – u.a. "I’ll Be Home for Christmas" und Irving Berlins hundertfach gecoverter Standard "White Christmas" in einer entkitschten und schlicht schönen Interpretation nur mit Stimme und Klavier – gewünscht hätte.

"Das sagen ja alle. Aber so war das Album nicht konzipiert", so Quasthoff. "Ich kann nicht öffentlich verkünden, mit klassischer Musik aufzuhören und wieder eine Musik-CD machen. Das finde ich komisch. Also nur hin und wieder zwei, drei Stücke. So werden künftig auch meine Konzerte aussehen."

2015 ist er mit Band beim Jazzfest Wien eingeladen, singt aber keinen ganzen Abend mehr: "Das ist mir zu anstrengend. Und ich will es auch nicht mehr."

Vielbeschäftigt

Dass er Anfang 2012 sein Karriereende als Lied- und Opernsänger bekannt gab, bedeutet nicht, dass seine Stimme verstummt ist. An der Wiener Staatsoper hat er zuletzt Eichendorff-Texte in einem Liederabend mit Michael Schade und Christoph Eschenbach gelesen, war im Konzerthaus als Erzähler in Prokofjews "Peter und der Wolf" und Sprecher in Arnold Schönbergs "Ein Überlebender aus Warschau".

Derzeit tritt Quasthoff auch auf Kabarettbühnen mit dem Programm "Keine Kunst" gemeinsam mit dem Autor und Kabarettisten Michael Frowin auf. Und kündigt an: "2016 wird ein neues Programm geben."

Hofnarr in Salzburg

Beim Verbier-Festival in der Schweiz wird er die Matthäus-Passion "in einer Traumbesetzung" dirigieren. "Dort ist noch eine völlig andere Atmosphäre, wo Künstler nicht zusehen müssen, wie sie bei strömendem Regen nach Hause kommen. Das findet sonst – auch bei den Salzburger Festspielen – nicht mehr statt. Ich sage es etwas krass: Aber es ist alles nur mehr so ein Vermarktungsscheiß. Der Mensch und der Künstler steht nicht mehr im Mittelpunkt."

In Salzburg hatte Quasthoff oft "das Gefühl, man ist eigentlich der Hofnarr derjenigen, die sich dort eine Konzertkarte leisten können. Und dazu habe ich keine Lust mehr."

Ähnliche Erfahrungen hat der Sänger mit der Plattenindustrie: "The Jazz Album – Watch What Happens" (2007) war neben den Bach-Kantaten eine der bestverkauften CDs. "Aber zuerst hieß es bei der Deutschen Grammophon: Unsere Markt- analyse sagt, die CD will keiner", erzählt Quasthoff. "Als sie dann fertig war, sagten alle: Wow! Also Marktanalyse ist nicht mein Level, auf dem ich diskutieren möchte."

Als er bei der DG anfing, habe es noch Chefs mit Visionen gegeben: "Die gibt es heute nicht mehr. Heute muss man blond und hübsch sein, und es ist im Grunde genommen fast egal, wie man singt oder spielt. Das ist leider keine positive Entwicklung. Es geht alles nur auf schnelle Vermarktung."

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