Neues Video von Pussy Riot: Gayropa und viel Korruption
Die doppelgesichtige, rote Möwe hängt in bester Sowjet-Manier an der Wand, davor steht eine junge Frau, die der Comic-Version einer Gulag-Aufseherin ähnelt. Ihn roten High Heels und mit Schmollmund ruft sie in die Kamera: „Je größer Russland ist, desto mehr kann ich abzocken!“
„Tschaika“, russisch für Möwe, hat Nadeschda Tolokonnikowa ihr neuestes Stück genannt. Vier Jahre ist es her, dass die Frontfrau von Pussy Riot in der Moskauer Erlöserkirche ihre Anti-Putin-Punkparolen vom Altar heruntergeschrien hat; ein Jahr verbrachte sie dafür in einem sibirischen Straflager.
Korruption auf allen Ebenen
Jetzt hat die 26-Jährige ihre Ansichten über das System Putin erneut in eine musikalische Generalabrechnung gegossen. Die Möwe, die sie besingt, ist jener Mann, der im Zentrum eines der größten russischen Justizskandale Russlands in jüngerer Vergangenheit steht: Jurij Tschika, der Generalstaatsanwalt des Landes, soll über Jahre hinweg gemeinsame Sache mit dem organisierten Verbrechen gemacht haben.
Erst vor kurzem hat Menschenrechtler Alexej Nawalny enthüllt, dass Tschaikas Sohn, auf dessen Konto Millionen lagern, sein Vermögen hauptsächlich über kriminelle Machenschaften verdient haben soll - darunter sei auch ein Mord, der von seinem Vater gedeckt worden sei, so Nawalny. In seiner Recherche hat der Menschenrechtler angeprangert, wie zerfressen das Land von Vetternwirtschaft und Korruption sei – berichtet hat über den Fall in Russland aber kaum jemand. Lediglich in kleinen, oppositionellen Zeitungen war davon zu lesen; laut einer Umfrage haben zwei Drittel der Russen nichts von dem Skandal mibekommen.
Diener des Geldes
Das will Tolokonnikowa mit ihrem Video nun ändern. „Ich liebe Russland, ich bin ein Patriot – aber leben würde ich lieber in der Schweiz“, singt die 26-Jährige über den Generalstaatsanwalt, der zwar ein treuer Diener des Kreml sein soll, aber ein noch treuerer Diener des schnöden Mammons. Sie wertet seine Machenschaften generell als ein Symptom der Ära Putin – inklusive schwerer Vorwürfe. „Schmiergeld nehmen, töten und stehlen - ich solchen Sachen bin ich ganz heimattreu“, singt sie, gefolgt von: „Ich wähl' Mütterchen Russland, nicht euer Gayropa“ - nicht jenes verderbte, sittenlose Europa also, das Putin stets anprangert.
Der Zweck des Video sei es die Menschen wachzurütteln, sagt Tolkonnikowa. „Das Amt des Generalstaatsanwalts ist zu einer perfekt etablierten Unterdrückungsmaschine geworden, die wie geschmiert läuft", sagt sie in einem Interview mit Vice – und die meisten Russen fänden das mittlerweile sogar normal. Viele meinen, so die Pussy-Riot-Sängerin, dass die Korruption und die Verbindungen zu kriminellen Organisation typische Phänomene seien, die es brauche, damit die russischen Behörden die Ordnung im Land wahren können.
Protz-Ästhetik
Deshalb spiele sie darin auch mit der Protz-Ästhetik, die die politische Elite sich in Russland angeeignet hat: Im Video sei vieles vergoldet, „um den fauligen Kern darunter zu verbergen“, wie sie sagt; das Gold sei zudem eine Anspielung auf den berüchtigten goldenen Brotlaib, der in der Villa des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch gefunden worden sei. Die Aufmachung der Tänzerinnen erinnert wiederum stark an nordkoreanische Propaganda; auch das knüpft an die nationalistische Ästhetik des Sozialismus an – ebenso wie die stetigen Hinweise auf Straflager und Folterungen auf das Wiederaufleben autoritärer staatlicher Strukturen deuten.
Angst, dass sie deshalb wieder juristisch belangt werden könnte, scheint Tolokonnikowa keine zu haben. Auf die Frage, was sie und Pussy Riot als nächstes vorhaben, antwortet sie Vice schelmisch: "Das weiß nur der russische Geheimdienst."
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