Prime Video von Amazon: Roboter, die auf Fernseher starren

Auf der Suche nach dem besten Bild für alle Medien: Das "Labor" von Amazon in London
Reportage: Von London aus feilt Amazon an seinem Video-Service – ein Blick hinter die Kulissen

Der Aufzug weiß, wie viele Menschen nach oben wollen. Im nigelnagelneuen europäischen Amazon-Hauptquartier in London schickt die kamerabewehrte Software automatisch so viele Aufzugkabinen ins Erdgeschoss, dass alle einsteigen können.

„Wir messen alles“, sagt wenig später und 15 Stockwerke höher Jay Marine, Vice President von Prime Video Europe. Marine ist ein hohes Tier in der Amazon-Hierarchie. London ist der zweitwichtigste Amazon-Standort nach der Zentrale in Seattle.

Und damit eine Drehscheibe des gesamten Internets: Amazon, das ist der weltweite Gemischtwaren-Hypermegamarkt. Längst knabbert der Onlinehändler nicht nur am Buch-, sondern am gesamten Einzelhandel: Man verschickt Schopenhauer, Babybrei und Waschmaschinen.

Weniger bekannt und ein milliardenschweres Business: Amazon verkauft auch Rechenleistung. Unzählige Start-ups und Kleinunternehmen nützen das Amazon Web Service (AWS) als Infrastruktur für ihre Onlineangebote. Das bringt 1,6 Milliarden Dollar Reingewinn. Wachstumsrate: Fast 50 Prozent pro Jahr.

Prime Video von Amazon: Roboter, die auf Fernseher starren

Aufholjagd

Und Amazon ist auch Fernsehanbieter. Hier aber in einer für den Erfolgskonzern ungewohnten Rolle: Der Gigant muss aufholen. Netflix ist Platzhirsch im gehypten Streamingbusiness und ein Synonym für das schöne, neuen Serienfernsehen.

So lud Amazon kürzlich Journalisten aus ganz Europa (darunter den KURIER) nach London, um einen Blick hinter die Kulissen des Streamingangebots Prime Video zu erlauben. Denn das aus dem Geiste der Ingenieure geborene neue Fernsehen (Amazon bietet u.a. die entzückende „The Marvelous Mrs. Maisel“ oder den Actionknaller „Jack Ryan“) ist eine völlig neue technologische Herausforderung.

Reguläres Fernsehen wird ausgestrahlt. Was der Kunde dann am Fernseher sieht, ist (mehr oder weniger) sein Problem. Nicht so, wenn ein Technologiekonzern dahintersteckt. Dann wird jede verwaschene Farbe, jedes schlecht aufgelöste Detail zur Programmierer-Herausforderung. Dann geht es in die Software-Eingeweide der Fernsehapparate. Ein hermetisch abgedichteter Raum im vierten Stock. Überall hängen neue Fernsehapparate. Davor steht ein Laptop. Hier wird direkt am smarten Fernseher getestet, wie stabil die Prime-Video-App läuft. Verstolpert sich die App und stürzt ab, ist der Kunde verärgert.

Und bei Amazon geht eine Fehlermeldung ein. „Wenn es wichtig ist, dann arbeiten wir rund um die Uhr daran, den Fehler zu beheben“, sagt Prime-Video-Technik-Vizepräsident Tim Kohn. „Streaming ist schwierig.“ Ziel sei, die Software künftig bereits in der Fabrik in Asien zu testen – per Fernzugriff.

Ein Stock höher. Wieder: Fernseher. Hier läuft „Jack Ryan“ auf mehreren Geräten parallel. Und sieht überall anders aus: Die Farben, die Kontraste – alles erstaunlich unterschiedlich. Das Ziel, sagt Kohn: Es soll auf jedem Gerät so gut wie möglich aussehen – eine „sehr interessante“ Herausforderung.

Es gibt aktuell 6000 Geräte-Kombinationen, mit denen Prime Video abgerufen wird. Die Menschen schauen auf Fernsehern verschiedener Anbieter, der Stream kommt über die Spielkonsole oder den Laptop oder die TV-Box ... Und alles sieht anders aus! Amazon versucht, die Software für möglichst alle Kombinationen zu optimieren. Es gibt eigene Mitarbeiter, „Golden Eyes“, deren Aufgabe es ist, fernzusehen, dabei auf die Details, Farben, Schatten zu schauen. Und den Programmierern zu sagen, wie die Software angepasst werden muss.

Aber der Mensch ist für den Technologiekonzern nur eine Zwischenlösung. Der nächste Schritt: Softwaregefütterte Kameras. Also: Roboter, die auf Fernseher starren, die fernsehen, um das Bild zu optimieren.

Prime Video von Amazon: Roboter, die auf Fernseher starren

Soziale Teilung

Die Menschen schauen in gut mit Breitbandinternet versorgten Gegenden ebenso wie am Land nahe von Mumbai. „Wir können nicht beeinflussen, wie viele Daten wir zu den Menschen bringen können“, sagt Kohn. Also werden die Bilder angepasst, heruntergerechnet, anders aufgelöst.

Ein anderes Labor: Hier drosselt ein kleines Kasterl automatisch die Internetgeschwindigkeit. „Je besser ausgebaut das Internet ist, desto eher wird Prime Video am Fernsehapparat geschaut“, sagt Kohn zum KURIER. „Je schlechter, desto eher am Handy.“ Die schöne neue Fernsehwelt teilt sich (auch) in soziale Klassen.

Prime Video hat am direkten Weg zum Seher aber seinen großen Vorteil: Man kann die AWS-Serverfarmen nützen, riesige Computerzentren, die in der ganzen Welt verteilt sind – also nah am Konsumenten.

Zahlen, bitte

Apropos Konsumenten. Zahlen? Nein, Zahlen bekommt auch auf Nachfrage man keine. Man bediene mit Prime Video Dutzende Millionen Kunden. Wie viele Serien die schauen, wo die leben? Keine Zahlen. Prime Video ist wohl für sich nicht profitabel. Aber eine Motivation, das Prime-Angebot zu abonnieren. Da gibt es dann Video und Musik. Vor allem aber: schnellere Lieferung dessen, was man auf Amazon kauft. Dann kauft man wohl mehr.

„Wir messen alles“, sagt Jay Marine. „Und es zahlt sich aus.“

Prime Video von Amazon: Roboter, die auf Fernseher starren

Jay Marine, Vice President Prime Video Europe: „Wir messen alles. Und es zahlt sich aus.“

 

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