Preisgekrönt: Ankerbrot with Schmolz and Solz
Es liegt einer auf dem Boden und bittet höflich, ihn noch einmal zu treten. Zu würgen. Zu prügeln. Ganz nach Belieben. Da lassen sich die Wiener nicht lange bitten.
Es ist der "Watschenmann", wie die Figur im Prater. Heinrich heißt er. Er ist fast noch ein Kind.
1954 tragen die Leute "lauter kleine Weltkriege mit sich". Wie einen Wurm. Deshalb gibt ihnen Heinrich die Möglichkeit, sich bei ihm abzureagieren: damit Österreich wieder gut sein kann, fesch und g’sund.
Dieser Heinrich will die inneren Kriege austreiben. Die Herren Jonas und Raab mögen sich um den äußeren Krieg kümmern.
Außerdem tut es auch ihm gut, irgendwie: Weil es auf diese Weise Sinn macht, dass er lebt, dass er weiterlebt am Rande, in einem Bretterverschlag.
Die Schläge erträgt er leichter, wenn er sich vorstellt, dass er ein Tier ist. Er schaut auf den Raben, der sich gegen den Wind stemmt.
Als die Oberösterreicherin Karin Peschka – Jahrgang 1967, als Sozialarbeiterin bei Alkoholkranken und arbeitslosen Jugendlichen im Einsatz gewesen – für ihren Debütroman im November 2015 den Literaturpreis Alpha bekommen hat, hielt Schriftsteller Paulus Hochgatterer die Festrede.
Er lobte die glasklare Beschreibung einer traumatisierten Nachkriegsgesellschaft, nebenbei ließ er den Namen Hans Lebert (1919 – 1993) fallen. Großer Name. Eigentlich ein großer Name.
Seine "Wolfshaut" spielt 1952 im schlammigen, schleimigen steirischen Dorf mit dem vielsagenden Namen "Schweigen".
Der vergessene Hans Lebert ist Karin Peschka recht nahe.
An "Die Kinder von Wien" von Robert Neumann (1897 – 1975) mit Überlebenden im Kellerloch könnte man bei dieser Gelegenheit ebenfalls erinnern.
Die Elenden
Aber zuerst sei der "Watschenmann" ans Herz gelegt und ins Hirn – mit Trutsch’n, einem ewigen SSler, blinden Brüdern, einer wasserscheuen Pritschlerin, einem greisen Säugling und einem netten Ami, der freundlich "Ankerbrot with Scholz and Solz" spendiert.
Heinrich wohnt mit der Gelegenheitsprostituierten Lydia, sie wird so etwas wie seine Mutter, und dem serbischen Boxer Dragan, er ist fast ein Vater, im Hinterhof einer aufgelassenen Werkstatt.
Ein zufälliges Zusammentreffen von Menschlichkeit, das ein bissl Normalität erhofft. Und Liebe. Nein, die Liebe ist nicht tot.
Bei allen Elenden wird der Amerikaner mit den Schmalzbroten leider nicht recht haben: "If something is kaputt, macht nix. I’ll fix it. Bestimmt." Naja.
"Watschenmann" ist eine Überraschung, auf jeder Seite, bei jedem Satz.
Karin Peschka:
„Watschenmann“
Otto Müller Verlag. 300 Seiten. 19 Euro.
Kommentare