„Du klingst wie ein Frosch“ hörte Temilade „Tems“ Openiyi als Kind häufig, wenn sie mit der Mutter im Supermarkt einkaufen war und etwas sagte. „Alle anderen Mädchen hatten diese süßen, hohen Stimmen. Meine Stimme aber hatte Bass“, erinnert sie sich. „Deshalb habe ich mir als Kind beim Singen die Stimme verstellt. Erst mit 17 Jahren ermutigte mich ein Musiklehrer, zu singen wie ich natürlich klinge. Erst da begann ich, mein tiefes Timbre zu lieben.“
Heute hat die nigerianische Sängerin diese Stimme zu ihrem Markenzeichen gemacht. Ein kraftvoller Beweis dafür war das Konzert am 11. Juni im Hammersmith Apollo in London. An ihrem 29. Geburtstag startete Tems die Tour zu ihrem ersten Album „Born In The Wild“. Fast 6.000 Fans sangen dabei nicht nur „Happy Birthday“, sondern jeden Ton des Sets mit – sogar bei den Songs, die erst drei Tage davor auf „Born In The Wild“ zum ersten Mal zu hören gewesen waren.
Harter Kampf
Mit dem Sound der Platte, einer Mischung aus Afrobeat, Hip-Hop, Dancehall, Soul und R&B sprengt die Musikerin Genregrenzen. Sich damit durchzusetzen war allerdings ein harter Kampf – nicht bei den Fans, aber in der Musikindustrie, als sie in ihrer Heimatstadt Lagos ihre ersten Songs produzierte. „So oft hörte ich: ,Mit dieser Musik wirst du es nicht schaffen, Nigerianer mögen das nicht. Sie mögen nur Afrobeats!`“ erinnert sich Tems. „Das stimmt zwar. Aber für mich passte das nicht. Ich hatte als Kind angefangen, mit meinem Bruder Musik zu machen. Er spielte Gitarre und ich improvisierte dazu Melodien. Bis ich auf der Uni war, hatte ich nur Songs mit Gitarre und Klavier. Und ich liebe zwar Afrobeats, aber auch Celine Dion. Die Emotionalität in ihren Balladen, das Drama und die Melodien haben mich berührt. Meine Musik sollte beide Vibes haben.“
Wirtschaftsstudium
Dass alle Produzenten, mit denen sie Kontakt aufnahm, sie auf Afrobeats reduzieren wollten, war auch der Grund dafür, dass sich Tems während ihres Wirtschaftsstudiums (die Mutter pochte auf diese Ausbildung) selbst das Produzieren beibrachte. Stundenlang saß sie nach der Uni alleine am Computer und lernte über Tutorials, wie man mit Musiksoftware seine eigenen Beats aufbauen kann. Es störte sie nicht. Alleinsein war sie gewohnt.
„Ich war als Kind sehr schüchtern. Wenn Verwandte sagten, ,Lass uns ein Foto machen`, habe ich umgedreht und bin weggegangen. In der Schule war ich die Außenseiterin und weinte deshalb viel. Ich habe mir den Blazer über den Kopf gezogen, um nicht gesehen zu werden, und habe wegen meiner Stimme wenig gesprochen. Ich war unglücklich. Nur Musik war meine Zuflucht.“
Es dauerte lange, bis Tems glücklich wurde. Bis 2018, als sie ihren sicheren, aber langweiligen Job im Onlinemarketing aufgab, um Vollzeit Musik zu machen. „Ich bin gesprungen, ohne zu wissen, ob es ein Netz gibt oder mich jemand auffangen wird“, erzählt sie. „Aber als meine Chefin einmal zu mir sagte: ,Pass auf, dass ich dich nicht rausschmeiße!`, antwortete ich spontan: ,Eigentlich ist das jetzt der beste Zeitpunkt, zu kündigen.` Ich hatte unglaubliche Angst dabei, ging zitternd und weinend aus dem Gespräch raus. Aber ich wusste, es war die richtige Entscheidung. So auf die Art: ,Jetzt beginnt mein richtiges Leben!`“
Grammy-Award
In ihrer ersten EP „For Broken Ears“ machte Tems die depressive Stimmung dieser Lebensphase hörbar. Wie als Kind, als sie Gedichte über alles schrieb, was ihr auf der Seele brannte, verarbeitet sie in ihren Songs jetzt den Frust über toxische Beziehungen, die Trauer über eine verlorene Liebe oder den Umgang mit schwierigen Lebenssituationen. Meist beginnt das mit Improvisationen, die sie auf Flugzeugtoiletten oder in Hotelfoyers in ihr iPhone singt.
Damit macht sich das Springen ohne Netz, das sture Bestehen auf den eigenen Sound jetzt bezahlt. Tems hat Songs mit Künstlerinnen wie Beyoncé und Rihanna produziert. Dem ersten Hit als Feature-Artist für Wizkids „Essence“ folgten eine Grammy-Auszeichnung für die Kollaboration „Wait For U“ mit Drake und dem Rapper Future und eigene Chartsrenner wie „Higher“, „Me & You“ und „Love Me JeJe“.
Und jetzt eben das Debüt-Album „Born In The Wild“, mit dessen Titel Tems auf ihren Werdegang anspielt: „Born In The Wild bedeutet für mich, dass man lernt, sich eine dicke Haut zuzulegen und sich auch in Unsicherheit wohlzufühlen.“
Kommentare