Pollini, Philharmoniker, "Sturm": Ein hervorragendes Klassik-Wochenende
Philharmoniker mit Hruša: Brillantes Finale einer sonst eher verseuchten Abonnementsaison
Seit Ende Oktober 2020 gab es aufgrund der Pandemie kein philharmonisches Abonnementkonzert; doch das Saisonfinale konnte am Wochenende im Musikverein (Reprise: heute, Montag, im Konzerthaus) doch noch stattfinden. Und es war gleich ein Denkwürdiges.
Denn was Dirigent Jakub Hruša und die Wiener Philharmoniker bei Bedřich Smetanas „Mein Vaterland“ boten, war schlicht überragend. Der 39-jährige tschechische Dirigent Hruša kennt Smetana in- und auswendig, steuerte das brillante Orchester mit viel Verve und ebenso großer Sensibilität durch die sechs symphonischen Dichtungen, kostete von der „Moldau“ bis zu „Böhmens Hain und Flur“ jedes einzelne musikalische Porträt perfekt aus.
Geballte Dramatik, ein bisschen Pathos, feinsinnige Betrachtungen – Smetanas sich an Orten, Landschaften und Sagen orientierender Klangkosmos – so hört man ihn nicht alle Tage.
Und überhaupt die Wiener! Dieses Orchester hat die Pandemie künstlerisch perfekt gemeistert; die Philharmoniker klingen nach wie vor perfekt und unendlich schön. Tiefgang ist aber naturgemäß auch vorhanden. Zumal man mit Hruša einen Dirigenten gefunden hat, der die musikalische Sprache der Wiener spricht, der stets auf die Musikerinnen und Musiker hört, zugleich aber seine eigenen Ideen verwirklicht.Was waren da für Soli zu hören! Wie kompakt und nuanciert können die Streicher klingen! Wie fantastisch die Bläser! Eine umjubelte Sternstunde. Peter Jarolin
Grafenegg: Wenn das musikalische Leben endlich wieder lebenswert ist
Das Wetter hat gehalten, 75 Prozent der Plätze vor dem Wolkenturm durften mit Publikum gefüllt werden und auch die musikalischen Darbietungen waren auf höchstem Niveau. Und somit stand einem Galaauftakt nach Maß zum Kultursommer in Österreich und speziell jenem in Grafenegg nichts im Weg.
Wobei Grafenegg heuer sein 15-jähriges Jubiläum feiert – mit einigen Neuerungen bei der Sommernachtsgala. Statt Barbara Rett moderierte Teresa Vogl die von ORF 2 live-zeitversetzt übertragene Gala. Statt des bisherigen Kehraus mit Edward Elgars „Pomp and Circumstance“ gab es Strawinskys „Feuervogel“-Finale und statt eines Feuerwerks wurde der Wolkenturm mit einer „Lichtpartitur“ von Marcus Neustetter & OMAi recht stimmungsvoll bespielt. Und so erlebten etwa 1.300 Besucher einen feinen Mix aus Oper, Operette und Klassik-Höhepunkten.
Für einen solchen sorgte Intendant und Ausnahmepianist Rudolf Buchbinder mit einer virtuos-beseelten Interpretation des ersten Satzes aus dem Klavierkonzert von Robert Schumann. Als Gäste waren die exzellente Sopranistin Rachel Willis-Sørensen und der stimmlich nicht minder überzeugende Tenor Benjamin Bruns zu hören. Bruns sang etwa die Arie des Max aus Webers „Freischütz“, gemeinsam mit Willis-Sørensen gestaltete er die Operetten-Hits „Freunde, das Leben ist lebenswert“ und „Meine Lippen, die küssen so heiß“.
Stets begleitet vom Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter seinem Chefdirigenten Yutaka Sado, die auch bei der „kubanischen Ouvertüre“ von Gershwin oder dem Strauß-Walzer „Rosen aus dem Süden“ glänzen konnten. Das Publikum am Wolkenturm jubelte. In Grafenegg aber geht es weiter mit Sommerkonzerten und dem Musikfestival. Peter Jarolin
Neue Klangwelten für Schuberts „Winterreise“
Verstärkter Bösendorfer, E-Gitarre, Mikrofon. Ein eher ungewöhnliches Instrumentarium für Franz Schubert. Oder nicht? Denn es geht um „Die Winterreise“. Der 1827 entstandene „Zyklus schauerlicher Lieder“, wie deren Schöpfer seine Vertonungen von Wilhelm Müllers Gedichten nannte, inspirierte Sänger und Musiker, Regisseure und Künstler seit Generationen, ihn in Szene zu setzen.
Einzigartig bleibt William Kentridge, der für die Interpretation von Bariton Matthias Goerne und seinem Pianisten Markus Hinterhäuser betörende Animationen geschaffen hat.
Nun sind Clara Frühstück und Oliver Welter am Zug. Die klassisch ausgebildete Pianistin, Perfomerin und Komponistin und der Sänger der österreichischen Band „Naked Lunch“ kleiden die Schubert’schen Lieder in einen neuen Sound, nehmen sie auseinander, durchwehen sie mit Elektrosound und verweben sie mit miniaturartigen Sequenzen anderer Melodien. Das entwickelt einen Sog, der ständig mit neuen Wendungen verblüfft. Ganz in sich gekehrt, zupft Welter zu Beginn die Saiten seiner E-Gitarre, lässt den Ton anschwellen, nimmt ihn zurück. Als ginge er auf Distanz zu sich selbst und zu allem, was er singt, nein spricht, noch besser, erzählt.
Mit seiner Stimme stemmt er Begriffe wie Herz oder Schmerz zu Heeerz und Schmeeerz, jault, swingt und groovt. Als hätte er sich mit einer Teflonschicht umhüllt, damit ihm die Düsternis der Müller’schen Texte nichts anhaben kann, legt er den Akzent auf eine gewisse Unnahbarkeit, die zwischen den Zeilen als ständiger Begleitsound mitschwingt. Stark seine „Begegnung“ mit dem Leiermann am Ende, denn er fixiert sich nicht auf gängige Interpretationen, dass der der Tod ist.
Clara Frühstück ist ihm eine kongeniale Partnerin. Für sie ist das Klavier auch ein Saiten- und Turninstrument, ein Klangfarbenspender. Manchmal ist das, als ob Klavier und Gitarre erratische Klangwände errichten. Wenn Frühstück mit ihrem hellen, ätherischen Sopran in Welters Gesang einstimmt, klingt das, als würde sie ihr Gegenüber in eine andere Welt entführen. Minutenlanger Jubel. Susanne Zobl
Maurizio Pollini ist und bleibt ein virtuoser Meister in der Erforschung von Seelenzuständen
Stehende Ovationen, und das eine gefühlte Viertelstunde lang: Maurizio Pollini gastierte im Wiener Musikverein mit einem Schumann und Chopin gewidmeten Programm und faszinierte mit seinen aufwühlenden Lesarten.
Bei diesem Pianisten geht es nicht um protzige Virtuositätsdemonstrationen, da geht es um Tiefsinn, um die Erforschung von Seelenzuständen, wie er in dem Robert Schumann gewidmeten Block hören ließ.
Kristallklar ziselierte er die „Arabeske in C-Dur“ (op. 18), changierte feinsinnig zwischen Dur und Moll, ohne jedoch in irgendwelche sentimentale Schwelgereien zu verfallen. Mit großer musikalischer Geste holte er zur „C-Dur-Fantasie“ (op. 17,) aus. Mit dem auf höchste Schlichtheit getrimmten Klang seines Steinway-Fabbrini-Flügels leuchtete Pollini dieses zentrale Klavierwerk der Romantik aus. Packend betonte er das Drängen, das Ungestüme dieser fordernden Partitur und arbeitete die Beethoven-Zitate deutlich heraus.
Vor 60 Jahren debütierte er als 19-Jähriger in Goldenen Saal. Dass er auch mit seinen 79-Jahren keinen Nanomillimeter an Strahlkraft verloren hat, ließ er mit Frédéric Chopins zweiter Klaviersonate in b-Moll (op. 35), der mit dem Trauermarsch, erleben. Ein absoluter Kraftakt nach Schuman, denn es gab keine Pause.
Mit seinem klaren Anschlag ließ er feinste Nuancierungen hören. Sogar das Grave mutete so an, als könnte es schweben. Ganz sanft schlug er die tröstlichen Passagen an und betonte die Chopin’schen Bizzarerien. Mit einer sanften „Berceuse in Des-Dur“ und einer rasanten „Polonaise in As-Dur“ beendete er diesen denkwürdigen Klaviermarathon. Susanne Zobl
Singen, spielen, musizieren – auch so geht ein Shakespeare-Klassiker unter die Haut
Sofort heult der Sturm im Orchester los, wild und unbarmherzig, Wellen brausen, Scheinwerfer streifen über das Publikum: So packend beginnt Jean Sibelius „Der Sturm“ am Grazer Opernhaus. Es ist die letzte Bühnenmusik, die der finnische Komponist neben vielen anderen geschrieben hat. Sie basiert auf William Shakespeares gleichnamigen Schauspiel.
Drei Schauspieler agieren an der Rampe, durch unterschiedliche Kostümierungen in mehrere Rollen schlüpfend. Dabei zeigen die teils exzessiv darstellende Anne Bennent, wie auch Markus Meyer und der mit Witz spielende Sebastian Wendelin ihre Wandlungsfähigkeit in Diktion und in Aktion.
Immer wieder werden ihre Sprechpassagen auch vom Orchester unterlegt, meist sehr intim nur mit Harmonium und Harfe. Ganz im Kontrast zu den größeren Nummern, in welchen Sibelius in diesem, seinem vorletzten Werk, einen Stilpluralismus aus seinem bisherigen Schaffen aller Epochen vorführt. Die Wechsel der Stile sind teils ziemlich radikal und manchmal hart an der Grenze zur Atonalität.
Diese klanglichen Zauberwelten, die wunderbar vielschichtige Musik wird von den Grazer Philharmonikern unter Roland Kluttig ungemein feinfühlig, reich nuanciert aber auch packend musiziert.
An der Spitze des Sängerensembles steht Mareike Jankowski als Ariel, die vier Lieder des Luftgeistes herrlich lyrisch und schönstimmig anstimmen darf. Auch Tetiana Miyus gefällt als Juno mit klarem, hellem Sopran. Albert Memeti ist ein höhensicherer Caliban, Markus Butter singt den Stephano etwas knorrig. Im Ensemble erlebt man Martin Fournier. Tadellos singt der Chor des Hauses.
Folgerichtig großer Jubel für diese Rarität! Helmut Christian Mayer
"Reif für die Insel" als hemmungslos kluger, grandioser Nonsens
Hand aufs Herz. Nach mehr als einem Jahr Pandemie sind wir doch alle reif für die Insel. Doch wer wirklich auf die Insel will, muss zuerst in die Hölle, also ins gleichnamige Souterrain des Theaters an der Wien. Dort nämlich gibt es gleich mehrere Inseln, die es zu erobern gilt, in kabarettistischer-musikalischer-farbenfroher Nonsens-Form.
Und dieser kluge, herrlich überdrehte, oft auch fein jiddische Nonsens macht unendlich viel Spaß, haben sich Georg Wacks und sein geniales Team doch einiges für die sogenannte „Corona Edition“ ihres „zwölften und letzten Jubiläumsprogramms“ (noch bis 26. Juni) einfallen lassen.
Denn Inseln gibt es bekanntlich viele. Da wäre eine, die sich dem Brexit verschrieben hat. Kein Wunder, dass eine Huldigung an die Queen den Auftakt macht. Aber auch Nordirland ist eine Insel, und die dortige Politik lässt sich von einer „Tanzkampfgruppe“ – mit Publikumsbeteiligung – perfekt darstellen. Und dass Mizzi Pfiffelhuber nach einer „Very Last Night of the Proms“ und Che Guevara von Hawaii (da gibt es keinen Heurigen!) enttäuscht sind, ist nachvollziehbar. Wie auch die Klagen der auf die Inseln der politischen Unkorrektheit verbannten literarischen Figuren. Egal, ob von Bär Baloo oder von Pippi Langstrumpf.
Und auch Rotkäppchen und die scharfe Wölfin sind bei einem Literaturquiz stark gefordert, während die Kreationen von Oskar Schlemmer auch das Tanztheater Wuppertal erschauern lassen.
Georg Kreisler, Hermann Leopoldi, Hanns Eisler, Richard Tauber oder Werner Richard Heymann – sie alle finden in Elena Schreiber, Stefan Fleischhacker, Martin Thoma, Georg Wacks und Christoph Wagner-Trenkwitz sowie dem exzellenten Ensemble Albero Verde geniale Interpreten. Und wenn zuletzt die Vorweihnachtsinseln erobert werden, heißt es einfach nur: Masseltoff! Peter Jarolin
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