Die marschierenden Hämmer aus dem Film „The Wall“ zum legendären Konzeptalbum von Pink Floyd sind das vielleicht ikonischste Image, das Gerald Scarfe je geschaffen hat. Der Brite hat beim Telefonat mit dem KURIER in seinem Studio in England sogar so ein Bild vor der Nase hängen. Er hat es gerade für einen Pink-Floyd-Fan nachgezeichnet.
Immer noch wird Scarfe mindestens einmal pro Woche um Drucke oder Zeichnungen von „The Wall“-Sujets gebeten. „Es erstaunt mich, dass die Begeisterung für diese Images all die Jahre gehalten hat, sagt er. „Einmal hat mich jemand sogar gefragt, ob er sich Bilder von ,The Wall’ auf die Brust und den Arm tätowieren lassen darf“, erinnert er sich. „Ich schrieb zurück: ,Gern, wenn du deinen Körper verschandeln willst’!“
Die Zeit, in der Scarfe mit Roger Waters an „The Wall“ arbeitete, bezeichnet der 86-Jährige als fabelhaft. „Ich hatte in meinem Haus im Londoner Stadtteil Chelsea ein eigenes Zimmer für ,The Wall’, und Roger kam drei bis vier Mal in der Woche zu mir, um Sachen zu besprechen. Aber im Prinzip hat er mich meine Arbeit machen lassen und akzeptiert, was ich gemacht habe. Das war toll und ist nicht selbstverständlich. Ich habe ja auch für das Theater gearbeitet. Da muss man sich schon stark mit dem Regisseur abstimmen.“
Scarfe kennt auch Nick Mason. Der Pink-Floyd-Drummer war der Erste, der ihn kontaktiert hatte, nachdem Mason und Waters einen Film gesehen hatten, den Scarfe für die BBC angefertigt hatte, und gleichermaßen begeistert waren. „Roger erzählte mir später, dass er und Nick über den Film gesprochen haben und gesagt haben: ,Wir müssen mit diesem Typen arbeiten, der ist komplett verrückt!´ Am Anfang wusste ich aber ehrlich gesagt nicht so genau, wie ich die Animationen für unsere erste Zusammenarbeit für das Album ,Wish You Were Here' anlegen sollte, denn meine Arbeit war damals surreal und von René Magritte beeinflusst."
Querelen
Richtig wohl fühlte Scarfe sich erst, als er dann an „The Wall" arbeitete - auch wegen der sozialen Botschaft, die in dem Werk steckte. steckte. „Die Idee für die marschierenden Hämmer kam mir sehr schnell, weil ich etwas gebraucht habe, das Unterdrückung darstellt. Da dachte ich sofort an die Stärke und Schlagkraft eines Hammers. Und das erinnert unterschwellig natürlich auch an Nazi-Deutschland. Andere Charaktere und Symbole von ,The Wall` brauchten aber mehr Zeit."
Mit dem Pink Floyd-Gitarristen David Gilmour hatte Scarfe nie etwas zu tun. „Ich denke, der ist so sehr Musiker, dass ihn das Visuelle nicht interessiert hat. Deshalb habe ich auch nichts von den damaligen Querelen mit Roger mitbekommen. Für ,The Wall` habe ich nur mit Roger gearbeitet. Die anderen in der Band wussten zwar, was vorgeht, waren aber nicht involviert.“
Die Images von „The Wall“ haben Scarfe weltweit bekannt gemacht. In seiner Heimat ist er aber fast noch mehr für seine bissigen politischen Karikaturen bekannt, die er 50 Jahre lang jede Woche für die Sunday Times gezeichnet hat. Und erst mit dem Interesse für politische Karikaturen, sagt er, habe er seine Berufung gefunden.
„Ich bin Asthmatiker, weshalb ich auch nicht zur Verleihung des Sokol-Preises nach Krems kommen konnte. Aber dadurch war ich als Kind sehr viel im Bett. Da konnte ich nichts anderes machen, als Radio hören und zeichnen. Mein Vater war Banker und wollte, dass ich einen Job wie er mache. Weil ich aber kaum in der Schule war, habe ich zum Glück die Aufnahmeprüfungen für die Bankjobs nicht bestanden. Also ging ich als Zeichner in die Werbeagentur meines Onkels."
Dieser erste Job als Grafiker hat seinen späteren satirischen Stil geprägt: „Der war sicher eine Gegenreaktion gegen die Kommerzialität, die in der Agentur herrschte. Alles musste wunderschön und einzigartig dargestellt werden, damit man es verkaufen konnte."
In diese Zeit in den 60er-Jahren fiel auch Scarfes Sieg über David Hockney bei einem Wettbewerb zum Zeichnen einer Uhr für eine Werbung. „Ich wusste das lange gar nicht. Erst Jahre später sagte Hockney einmal zu mir: ,Meine Mutter hat mir erzählt, dass du damals der Sieger warst, und ich nur der Zweite.’ Aber ich fürchte, ich muss sagen, dass das das einzige Mal war, dass ich vorne war. Danach war immer Hockney der Gewinner.“
Tyrannen
Erst vor zwei Jahren gab Scarfe den Job bei der Sunday Times auf, nicht aber die politischen Karikaturen. „Es ist immer der Missbrauch von Macht, der mich aufregt. Deshalb zeichne ich jetzt manchmal Putin – nur für mich, weil ich es gewohnt bin, so meine Emotionen und meinen Widerstand auszudrücken.“
Ein guter Weg bei politischen Karikaturen war für Scarfe immer, „die Tyrannen der Welt“ lächerlich zu machen. „Die haben ein aufgeblasenes Ego. Wenn du sie als töricht darstellst, kann man diese Blase anstechen und ein wenig die Luft rausnehmen.“
Gibt es für Scarfe eine rote Linie für das, was politische Karikatur darf? Hat der islamistische Anschlag auf die Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo nach dem Abdruck der Mohammed-Karikaturen diese Grenzen verschoben?
„Redefreiheit, also auch die Freiheit der Karikaturisten, Dinge mit Bildern zu sagen, ist das Wichtigste“, sagt er. „Ich würde aber nie Leute von der Straße lächerlich machen. Musiker wie die Rolling Stones habe ich lustig dargestellt, Politiker aber immer so schrecklich, wie sie sind. Natürlich gibt es dann Leute, die dagegen sind und ihren Standpunkt dazu haben. Dass der damals mit dem Anschlag so extrem ausgedrückt wurde, war unsagbar traurig. Und natürlich darf man niemanden grundlos verärgern. Aber wenn du etwas zu sagen und einen guten Grund dafür hast, musst du es sagen.“
Scarfe hofft deshalb, dass politische Karikaturen in Zukunft nicht aussterben werden. „Wir wissen alle, dass die gedruckte Zeitung ein Auslaufmodell ist, weil die News-Berichterstattung sich in die digitale Welt verlagert hat. Ich glaube schon, dass sich auch die politische Karikatur dorthin verlagern kann. Denn sie kann kraftvoll eine Aussage treffen, die man schnell und mit einem Blick erfassen kann, während das Lesen eines Artikels viel länger dauert. Und sie braucht keine Sprache. Bilder werden in allen Ländern gleich verstanden."
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