Plädoyer für ein herausragendes Landmark-Gebäude
Man kann es wohl "Kampagne" nennen: Mit schöner Regelmäßigkeit artikuliert die "Krone" ihren Unmut über ein Bauprojekt am Karlsplatz. Man schimpft es Glasfurunkel und "Monsterbau" oder verwendet die Kombination "Glasmonster".
Doch abgesehen davon, dass die Metapher "Furunkel" völlig falsch gewählt ist, ist die Erregung nicht nachzuvollziehen. Denn gegen das ungleich monströsere Bauprojekt rund um den Eislaufverein, kaum mehr als 500 Meter entfernt, zieht die "Krone" nicht zu Felde. Oder nicht mit der gleichen Vehemenz. Jedenfalls nicht in der Wahrnehmung Ihres Tratsch-Partners. Dabei wäre es ein lohnendes Projekt für Erregung.
Am Karlsplatz geht es um eine Aufstockung des sogenannten Winterthur-Gebäudes um drei Stockwerke, das, 1971 errichtet, die Lücke zwischen dem Historischen Museum der Stadt Wien (heute Wien Museum) und der barocken Karlskirche schloss. Es dockte direkt an den Haerdtl-Bau an, was immer wieder massiv kritisiert wurde.
Das Museum, 1959 eröffnet, ist nicht nur sanierungsbedürftig: Es platzt aus den Nähten, wie man so sagt. Im Zuge des Architekturwettbewerbs für die Erweiterung kam die Idee auf, den Haerdtl-Bau wieder zum Solitär zu machen. Die Zurich-Versicherung als Eigentümer des Winterthur-Gebäudes stimmte zu, das Verbindungselement (mit dem Durchgang) wegzureißen, wenn die verlorenen Flächen durch einen Aufbau kompensiert werden können. Dies soll von der Stadt zugesagt worden sein.
Die Versicherung dürfte durch die Aufstockung wohl mehr Quadratmeter gewinnen, als sie verliert. Aber das Team Henke Schreieck, das den Winterthur-Wettbewerb gewann, ging behutsam vor. Man muss schon blind vor Wut sein, wenn man die zarte Konstruktion, die sich in der Höhe am geplanten Aufbau für das Wien Museum orientiert, als "hässlich" – so die "Krone" – bezeichnet.
Oder lenkt man den Zorn der Bürger bewusst auf diesen Nebenschauplatz? Beim Areal Heumarkt/Eislaufverein geht es jedenfalls um ungleich mehr. Der Developer Michael Tojner möchte unter anderem einen Turm mit Luxuseigentumswohnungen errichten. Um sein Vorhaben durchzubringen, zog er erstaunlich viele Meinungsmacher auf seine Seite. Und Mitte Dezember präsentierte er einen überarbeiteten Entwurf: Der Turm wurde in der Höhe um nicht einmal zehn Prozent reduziert – von 73 auf 66,3 Meter.
Christoph Luchsinger, Professor für Städtebau und Entwerfen an der TU, meinte unlängst im "Standard", dass dieses Projekt durch das von ihm geleitete Vermittlungsverfahren "deutlich besser" geworden sei. Was sonst soll er denn sagen? Doch viel entscheidender: Ist ein Projekt, das "deutlich besser" wurde, schon gut?
Es gibt wohl kein vergleichbar zentrales wie sensibles Areal in Wien. Den Stadtvätern müsste wichtig sein, dass hier allerbeste Architektur, ein singuläres Landmark-Gebäude, realisiert wird, das die Menschen als Hintergrund für Selfies wählen. Die Pläne des brasilianischen Architekten Isay Weinfeld hingegen eignen sich eher für den Wienerberg oder die Donauplatte.
Und: Wollen wir wirklich, dass ein nüchterner Turm errichtet wird, den Millionen Wiener und Touristen permanent anschauen müssen, nur damit ein paar Superreiche einen grandiosen 360°-Blick auf Wien haben – von der Karlskirche über das Belvedere bis zum Steffl?
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