Pink Floyd über Streit und Casting-Shows

Pink Floyd über Streit und Casting-Shows
Die Kultband veröffentlicht ihre Archivschätze. Nick Mason spricht über Streit, Castingshows & Weltfrieden.

Die Abbey Road Studios, Pilgerstätte der Rockgeschichte, Aufnahmeort zahlreicher stilprägender Alben. Vorbei an den Fans, die Tag für Tag versuchen, am Zebrastreifen davor den Beatles-Ausfallschritt nachzustellen. Hinein, zu einem seltenen Ereignis: Der Schlagzeuger einer legendären Band bittet zum Interview. Nick Mason von Pink Floyd.

Die britischen Meister des getragenen Zeitlupenrocks sind mit Hochglanz-Alben zur Kultband geworden: In monatelanger Studio-Feinarbeit zurechtgeschliffen, jede Note, jeder Soundeffekt geplant. "Wir dachten immer, wir müssen alles kontrollieren, was wir veröffentlichen", bestätigt Mason gegenüber dem KURIER.

Perlen

Jetzt aber werden die ungeschliffenen Perlen aus den Archiven zugänglich gemacht: In den kommenden Monaten werden alternative Aufnahmen, Live-Auftritte, Vorversionen von Rekordalben wie "Dark Side of The Moon" (15 Jahre in den US-Billboard-Charts), "Wish You Were Here" und "The Wall" (meistverkauftes Doppelalbum der Geschichte) veröffentlicht.
Ein wahr gewordener Traum für Fans, ein reicher Fundus für Pophistoriker.

Denen kommt nun erstmals so manches Rohe, Unfertige, Unkontrollierte zu Ohren. Aber "diese Sachen zu veröffentlichen ist gar nicht so erniedrigend, wie wir dachten", sagt Mason.
Warum jetzt? "Weil EMI mit einem großen Stock zu uns gekommen ist und sagte, ,Wir finden, ihr solltet das tun'. Da dachten wir uns, oh, okay", sagt Mason schmunzelnd. Und erklärt dann: "Es naht das Ende des physischen Tonträgers. Jetzt ist wahrscheinlich die letzte Gelegenheit, das in diesem Maßstab zu machen."

Dabei grenzt es eigentlich an ein Wunder, dass die Musiker sich auf Veröffentlichungen einigen. Bis vor wenigen Jahren herrschte Eiszeit zwischen den kreativen Alphatierchen der großen Ära der Band. Der jahrelange Konflikt zwischen Bassist Roger Waters und Gitarrist David Gilmour war Mitte der 80er im Split von Waters und im Rechtstreit gemündet.
Zuletzt aber gab es Tauwetter, gemeinsame Auftritte bei "Live 8" und Waters' aktueller "The Wall"-Tour.

Mason hat jahrelang vermittelt, mit feinem britischen Humor. Aber "ich glaube, dass auch Humor, traurigerweise, nicht wirklich stark genug ist, um zwischen David und Roger zu kitten", sagt Mason jetzt, schmunzelnd. "Ich war wie der Schiffskoch, und nein, ich sage nicht ,auf der Titanic'. Die Kapitäne streiten oben auf der Brücke. Und niemand bemerkt, dass der Koch immer noch da ist - nach mehr als 40 Jahren."

Weltfrieden

Aber der 67-Jährige hat die Lust an der Band nicht verloren. "Ich bin bereit", sagt Mason zur Frage, ob es nach dem Tod von Keyboarder Rick Wright 2008 je wieder eine Tour unter dem Namen Pink Floyd geben wird. "Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass David und Roger darauf Lust haben werden. Vielleicht bei einem Benefizkonzert. Für den Weltfrieden."

Apropos Weltfrieden - haben die Streithähne einander vergeben? "Das ist das falsche Wort", so Mason. "Es ging um künstlerische Differenzen. Es gibt den Punkt, wo sich Musiker denken, dass sie lieber alleine arbeiten. Da kann man nichts machen. Es gibt kein Gesetz, dass Bands dazu zwingt, zusammenzubleiben."

Digital

Immerhin, so Mason, seien Waters und Gilmour so weit, wieder zusammen aufzutreten. Vor der jüngsten Reunion bei "The Wall" im Mai in London "war David sehr nervös wegen seines Gesangs und wegen des Solos bei ,Comfortably Numb'. Und er machte sich wohl auch Sorgen, dass - wenn er oben auf dem 13 Meter hohen Turm über der Bühne steht - Roger an dem Turm rüttelt", sagt Mason mit einem Lachen.

Dass die Fans jetzt u. a. das BBC -Konzert aus dem Wembley Stadium (1974) in CD-würdiger Qualität hören können, ist digitaler Tontechnik zu verdanken. Die Aufnahmen wurden geputzt, angereichert, repariert - bis vor Kurzem in dieser Form "unmöglich", sagt Mason. Und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit war "überraschend angenehm. Normalerweise ist man da ja sehr kritisch. Vielleicht sind wir im 21. Jahrhundert nachsichtiger mit uns geworden."

Im Abbey Road Studio wird es inzwischen, rundheraus gesagt, immer schwerer, sich nicht von Ehrfurcht übermannen zu lassen. Pink Floyd haben mit vielem Geschichte geschrieben: Mit der Erweiterung des Rock-Albums in Richtung Gesamtkunst-Statement. Mit den immensen Live-Shows, die mit fliegendem Schwein, explodierendem Bett und einstürzenden Mauern den Stadionrock definierten.

Und auch mit ihren ausufernden Experimenten im Studio. Dass es zur Hochblüte der Band die heutigen digitalen Möglichkeiten nicht gegeben hat, war offenbar ein Segen: "Wenn wir das gehabt hätten, würden wir wohl immer noch an ,Piper At The Gates Of Dawn' herumbasteln", sagt Mason lachend. "Piper" ist die erste Platte der Band (1967), noch mit dem ersten Frontmann Syd Barrett.

Im heutigen Musik-Business, zwischen Castingshows und Formatradio, würde Pink Floyd "wahrscheinlich gar nicht existieren", sinniert Mason. Denn "wir hätten sicher nicht bei ,X-Factor' gewonnen'". Bleibt nur noch eine Frage: War's das? Sind dies die letzten Pink-Floyd-Veröffentlichungen? "Nein, ich hoffe nicht", sagt Mason zum KURIER. "Wir könnten dasselbe auch noch mit anderen Alben machen, es gibt Songs aus der Zeit vor ,Piper'. Man könnte ,Live In Venedig' veröffentlichen. Wenn die Leute es mögen, werden wir noch mehr machen."

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