Philip Roth ist tot: Große Libido, große Literatur
Jedes Jahr, wenn die Verleihung des Literaturnobelpreises anstand, schloss die internationale Philip-Roth-Fangemeinde hoffnungsfroh Wetten ab, um sich dann – zunehmend resigniert – ein „Mist, wieder nicht“ zuzurufen.
Heuer, als die Preisverleihung abgesagt wurde, vertagte man sich aufs nächste Jahr, wenn es doch bitteschön endlich so weit sein müsste. Doch Philip Roth sollte diese Verleihung nicht mehr erleben: Der große US- Schriftsteller, der so viel über das Menschsein, das Mannsein, das Amerikanisch-Sein, das Altern und Sex (sowie über Sex im Alter) zu erzählen wusste, ist in der Nacht zum Mittwoch an Herzversagen gestorben. Er war 85 Jahre alt.
Ich hatte einfach nicht mehr die geistige Lebhaftigkeit oder die verbale Energie
Literaturpensionist
Mit dem Schreiben hatte Roth bereits 2010 aufgehört, 2012 tat er den Rückzug offiziell kund: Er habe sein bestes Werk geschaffen, seine körperliche und geistige Verfassung halte die kreativen Schübe, die zur Vollendung eines Romans nötig sind, nicht mehr durch, erklärte er.
Solche Schübe hatten in den Jahren zuvor allerdings für einen erheblichen Output gesorgt – 27 Romane, einen Band mit Memoiren, zahlreiche Kurzgeschichten und Essays umfasst Roths Werk, wobei der Autor regelmäßig die Grenzen zwischen Autobiographie und Fiktion verwischte. Immer wieder griff er auch Fäden aus früheren Werken neu auf.
Sein Image als Literatur-Lustmolch hatte Roth bereits mit „Portnoys Beschwerden“ – 1969 im Original erschienen – zementiert: Der Monolog eines sex- und schuldbesessenen jüdischen Mannes sorgte für einen Skandal, nicht zuletzt im jüdischen Establishment. An diesem sollte sich der im Mittelklasse-Vorort Weequahic, New Jersey, aufgewachsene Autor noch oft reiben.
Doch auch Akademiker , Künstler und Politiker hatten in seinen Romanen oft Schwierigkeiten, das Gesicht zu wahren. Für „Mein Mann, der Kommunist“ („I Married A Communist“, 1998) versetzte sich Roth in die Hetzjagd-Atmosphäre der McCarthy-Ära.
In „Der menschliche Makel“ („The Human Stain“, 2002) stolpert ein Professor, der seine afroamerikanische Herkunft verschleiert, über eine Bemerkung die ihm rassistisch ausgelegt wird. In „Die Verschwörung gegen Amerika“ („The Plot Against America“, 2004) stellte sich Roth vor, dass Charles Lindbergh – der Transatlantikpilot war Nationalist und Sprecher des „America First Committee“– US-Präsident wird und Pogrome gegen Juden initiiert.
US-Schriftsteller Roth gestorben
Alles (halb) erfunden
Mit Kommentaren zum Tagesgeschehen hielt sich Roth, der sich meist verschlossen gab, zurück. Als ihn seine Ex-Frau, die britische Schauspielerin Claire Bloom, als Frauenhasser und Neurotiker darstellte, war Roth plötzlich nicht mehr Herr seines Spiels mit Realität und Fiktion, was ihn traf.
Als Autor gehörte Roth gewiss einer Generation weißer Männer an, die nichts daran fanden, Frauen als Beute zu betrachten. Seine in Büchern beschworene Sehnsucht nach jungen Partnerinnen, die in Spätwerken wie „Das sterbende Tier“ auf minutiös geschilderte Verfallserscheinungen trifft, ist zumindest teilweise auch für den „echten“ Roth belegt.
In das Gejammer von Generationsgenossen über eine „Hexenjagd“ anlässlich der #MeToo-Debatte stieg Roth nur indirekt ein: „Ich bin nicht nur in die männliche Gedankenwelt eingetaucht, sondern in die Realität dieser Triebe, deren Druck die Rationalität gefährden kann“, erklärte er zuletzt in einem Interview mit der New York Times. „Als Konsequenz hat mich keine der extremen Verhaltensweisen, über die ich zuletzt in den Zeitungen gelesen habe, überrascht.“
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