Phil Collins beim Wien-Konzert: Tanz im Sessel
Alles swingt, alles singt, keiner kann mehr stillstehen. Und der, der diese mitreißende Energie verbreitet, ist der einzige, der gezwungen ist, ruhig zu sitzen. „Don’t Lose My Number“ ist erst der vierte Song von Phil Collins’ Konzert im Ernst-Happel-Stadion in Wien, und schon tut einem der 68-Jährige leid. Nach einer Rückenoperation ist einer seiner Füße taub. Eine ganze Dekade war der Genesis-Sänger deshalb nicht mehr auf Tour. 2017 begann er wieder damit, startete zum Live-Comeback, weil er die Auftritte vermisste, wieder „diesen Spaß“ haben wollte – auch, wenn er nur mehr mit Spazierstock gehen kann.
Ganz langsam kam Collins auch im Ernst-Happel-Stadion auf die Bühne – so frenetisch bejubelt, dass er eine „Es reicht schon“-Geste machte, noch bevor er überhaupt einen Ton gesungen hatte. Mit „Against All Odds“ und „Another Day in Paradise“ – beides Riesenhits, aber im Balladen-Tempo – hat Collins der Show einen ruhigen Beginn gegeben. Auch die ganze Bühnengestaltung ist ruhig und schlicht. Es gibt (recht kleine) LED-Schirme links und rechts von der Bühne, einen größeren über den Musikern. Mit wenigen Ausnahmen (etwa Videos und uralte Bilder von Genesis) zeigen sie das, was auf der Bühne passiert. Mehr braucht es auch nicht.
Denn für „Don’t Lose My Number“ sind jetzt Bläser dazugekommen. Die Musik ist funkiger und schneller geworden, der Beat und die Vitalität der hervorragenden Band ist infektiös. Es wirkt zwar keine Sekunde peinlich, dass Collins sitzen muss. Aber, dass er sich jetzt gerne viel mehr bewegen würde, zeigen sein Oberkörpertanz und die immer wieder den Takt klopfenden Hände.
Ungebrochen ist die Kraft von Collins’ Sing-Stimme. Das hört man - auch wenn der Sound jetzt mit den Bläsern verwaschen klingt. Bei Mike + The Mechanics, der Zweitband des Genesis-Gitarristen Mike Rutherford, die im Vorprogramm zu sehen war, war er viel klarer. Aber das stört die 40.000 Besucher nicht. Denn schon im ersten Drittel gibt es mit „Follow You Follow Me“ und „Throwing It All Away“ auch Genesis-Songs.
Dann hat Collins’ Sohn Nicholas seinen großen Auftritt. Der heute 18-Jährige übernahm beim Live-Comeback des Vaters die Drums, denn die kann der Senior wegen seiner angeschlagenen Gesundheit auch nicht mehr spielen. In der Mitte der Show setzt Nicholas mit dem Perkussionisten zu einem Duell an, zeigt, dass er dem Papa dabei auch in so jungen Jahren in nichts nachsteht. Und der Papa setzt dann doch noch mit ein, spielt mit den Händen auf einem Schlagbett mit. Gleich drauf darf Nicholas dann auch noch Klavier spielen. Denn, erklärt Phil, „You Know What I Mean“ sei der einzige seiner Songs, den Nicholas wirklich mag.
Und dann steht Collins Senior doch für einen Song auf. Aber nicht nur deshalb ist „In The Air Tonight“ ein Gänsehautmoment. Es ist der vielleicht beste Song, den Collins je geschrieben, ganz bestimmt der berühmteste, und hier im Ernst-Happel-Stadion mit einem ausgedehnten, sphärischen Intro und kantigen Riffs von Gitarrist Daryl Stuermer extra spannend arrangiert.
Beim Rest der Show reiht sich ein Hit an den anderen: „You Can’t Hurry Love“, „Dance Into The Light“, „Sussudio“: Die Bläser sind wieder da, tanzen vorne am Bühnenrand ausgelassen wie Derwische, während im Publikum Party-Stimmung herrscht.
Und wieder ist Collins der einzige, der in dem fröhlichen Treiben an den Sessel gebunden ist. Aber jetzt tut er einem nicht mehr leid. Er tanzt wieder mit seinem Oberkörper und sein Gesichtsausdruck macht klar, dass er es genießt. Dass er hier im Ernst-Happel-Stadion jetzt gerade so viel mehr Spaß hat, als er zuhause auf der Couch je haben könnte.
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