"Pflicht zum Widerstand": Daniel Wissers Rede zum 8. Mai

"Pflicht zum Widerstand": Daniel Wissers Rede zum 8. Mai
Beim "Fest der Freude" wird am heutigen 8. Mai der Opfer der NS-Herrschaft gedacht – mit einem Konzert und Reden.

Am 8. Mai 1945 kapitulierte das nationalsozialistische Deutschland, der Zweite Weltkrieg war zu Ende. Am Wiener Heldenplatz findet zu diesem Anlass das „Fest der Freude“ statt – mit einem Gratis-Konzert der Wiener Symphoniker unter der Leitung der Dirigentin Eva Ollikainen, Conchita wird Beethovens „Ode an die Freude“ darbieten. ORFIII überträgt den Festakt live ab 19.35 Uhr. Unter anderem wir der KZ-Überlebende Shaul Spielmann eine Rede halten, Schauspielerin Katharina Stemberger – die auch moderiert – trägt einen Text des Autors Daniel Wisser vor, den Sie nachfolgend lesen können.

"Pflicht zum Widerstand": Daniel Wissers Rede zum 8. Mai

Katharina Stemberger wird beim "Fest der Freude" Daniel Wissers Text lesen.

Die Rede von Daniel Wisser

„Der 8. Mai ist ein Tag der Freude, ein Tag der Hoffnung. Die Nationalsozialistische Herrschaft und ihr Krieg hatten Tod, Zerstörung und Elend in nie da gewesenem Ausmaß hinterlassen. Der 8. Mai 1945 gab Hoffnung. Der 8. Mai 1945 war ein Aufbruch.

Die wichtigste Voraussetzung für diesen Aufbruch war das unumstößliche Bekenntnis zu einer Gesellschaft, die der Rückkehr rechtsextremen, faschistischenund nationalsozialistischen Gedankenguts in ihre Mitte energisch entgegentritt. Das ist bis heute und in der Zukunft unsere Aufgabe, unsere Pflicht. Es ist nicht nur die Pflicht der Politik. Dieser Widerstand ist von allen immer dort zu leisten, wo uns Rassismus, Nationalismus, Unrecht und Angriffe auf die Demokratie und Freiheit begegnen.

Trotz aller Errungenschaften der letzten Jahrzehnte müssen wir feststellen, dass rechtsextremes, faschistisches und nationalsozialistisches Gedankengut auch heute unsere Gesellschaft bedroht. Aber es tut dies in anderer Form und mit anderen Mitteln als seine historischen Bewegungen.

Die großen Herausforderungen der Zukunft sind, Armut, Bevölkerungsexplosion und die Zerstörung der Umwelt zu bekämpfen. Doch nicht alle Menschen teilen diese Ziele. Die Armut auf unserem Planeten hat Profiteure. Die Zerstörung der Umwelt hat Profiteure. Diese Profiteure agieren weltweit. Sie versuchen, Demokratien zu schwächen, demokratische Entscheidungen zu manipulieren und finanzieren aus Eigennutz rechtsextreme Politik in aller Welt.

Wie beim historischen Nationalsozialismus besteht eine aufkeimende faschistische Bewegung zunächst aus einer kleinen Anzahl von Menschen, aus Brandstiftern, die Demokratie und Pressefreiheit angreifen. Ihnen steht eine viel größere Anzahl von Duldern gegenüber, die keinen Widerstand gegen die Brandstifter leisten, zum Teil aus Kalkül, zum Teil aus Angst oder Gleichgültigkeit. An diesem Punkt beginnt eine Spirale, die in wenigen Jahren das Gefüge einer Demokratie zerstört. Das wissen wir, weil es so geschehen ist. Und erst vor wenigen Tagen hat der Politiker einer Regierungspartei in Österreich gefordert, einen Journalisten, der kritische Fragen stellt, von seinem Arbeitsplatz zu entfernen. Geschieht das wirklich, dann leben wir bereits wieder in einer Diktatur.

Rechtsextreme, faschistische und nationalsozialistische Bewegungen wird es immer geben. Eine demokratische Gesellschaft verträgt sie bis zu einem gewissen Maß. Gefährdet ist die Gesellschaft erst dann, wenn demokratische Parteien aus Machtkalkül mit ihnen Allianzen bilden. Vielleicht empfinden wir diese Allianzen zunächst als harmlos und sogar gesellschaftlich tragfähig. Damit werden auch wir zu Duldern dessen, was wir niemals dulden dürfen. Wir werden Dulder, anstatt Widerstand zu leisten. Der 8. Mai ist der Tag, der uns an die Pflicht zum Widerstand erinnert.

Manche Geister sind leicht zu beschwören. Die Anrufung zweier bekannter Geister scheint oft schwerzufallen: Es sind dies Vernunft und gesunder Menschenverstand. Vernunft und gesunder Menschenverstand müssen ausreichen, damit eine große Mehrheit in unserem Land der Überzeugung ist, dass wir keinen zweiten 8. Mai 1945 mehr brauchen. Viel lieber wollen wir uns am 8. Mai unserer Freiheit vergewissern und damit auch ihrer wichtigsten Voraussetzung: dem unumstößlichen Bekenntnis zu einer Gesellschaft, die der Rückkehr rechtsextremen, faschistischen und nationalsozialistischen Gedankenguts in ihre Mitte energisch entgegentritt.“

Von Daniel Wisser

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