Peter Turrini verspricht neue Stücke

Peter Turrini verspricht neue Stücke
Der Dramatiker wird mit dem Nestroy für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Turrini im Interview über Lampenfieber, Whiskymengen und Tragödien.

Am 14. November werden im Raimund Theater die diesjährigen Nestroy-Preisträger gewürdigt. Geehrt fürs Lebenswerk wird Peter Turrini.

KURIER: Und? Sind Sie ob dieser Ehre erfreut?
Peter Turrini: Es gibt Auszeichnungen, Orden zum Beispiel, die lehne ich ab. Die haben für mich etwas mit früher Grablegung zu tun. Preise hingegen, die sich auf mein Werk beziehen, freuen mich sehr. Außerdem bin ich ja dem Nestroy, dem Namenspatron dieses Preises, verfallen. Er hat seine lebenslängliche Traurigkeit in äußerste Spaßigkeit verpackt. Das ist mir sehr nahe.

"Lebenswerk" klingt immer etwas nach Gewesenem.
Da haben Sie völlig recht. Deshalb werde ich diesen schönen Preis zum Anlass nehmen, um endlich mit meinem Lebenswerk zu beginnen. Es schwirren schon mehrere Projekte in meinem Kopf herum.

Wer schreibt die Laudatio?
Elfriede Jelinek. Das freut mich besonders, denn wir haben gänzlich verschiedene Auffassungen vom Theater.

Wie sehen Sie heute Ihre Position in Österreichs literarischer Landschaft? Als 1971 "Rozznjogd" zum Skandal wurde, waren Sie sozusagen über Nacht "Enfant terrible".
Mein theatralisches Dichten währt nunmehr fünfzig Jahre, wenn man die Stümperhaftigkeiten des Anfangs miteinrechnet. In dieser langen Zeit war ich Nestbeschmutzer, Kommunist, katholischer Dichter, Avantgardist, Realist, ein Übriggebliebener und Vorreiter. . . Ich kann zu all dem nur eines sagen: Von Beginn an bis zum heutigen Tage bedeutet für mich das Schreiben eine Art des Überlebens. Ich muss mir alles, was ich in der Welt nicht verstehe und nicht aushalte, durch eigene Worte und Sätze verständlich machen. Wenn ich nicht schreibe, ersticke ich. Und so setze ich mich eben an meine rostige Everest-Schreibmaschine, jeden Tag, um nicht in jenes dunkle Loch zu fallen, das auf mich jenseits der Sprache lauert.

Sie haben aber in Österreich, abgesehen von Ihrer literarischen, auch eine gesellschaftspolitische Bedeutung. Man befragt Sie sehr gerne zu Tagesaktuellem.
Das geht mir zunehmend auf die Nerven. Diese ständige Wortspenderei ruiniert die Konzentration des Schreibens. Wenn ich all diesen Anfragen nach Vor-, Nach- und Zwischenwörtern nachgeben würde, wenn ich zu allen Blödheiten des Herrn Strache und anderer Blödianisten ständig meinen Kommentarsenf abgeben müsste, könnte ich meinen Beruf aufgeben. Was ich zu sagen habe, kann man auf der Bühne hören oder in meinen Büchern lesen.

Aber zur Ausladung von Jean Ziegler, dem geplanten Festspielredner für Salzburg, haben Sie sich freiwillig zu Wort gemeldet?
Elfriede Jelinek, Michael Scharang und ich haben einen gemeinsamen Wutanfall bekommen und einen Kommentar verfasst. Eine Weltfigur wie Jean Ziegler, dessen aufwühlende Bücher jeder vorher lesen konnte, zuerst einzuladen und dann wieder auszuladen, ist erstens eine maßlose Feigheit und zweitens eine Unhöflichkeit sondergleichen. Die Frau Landeshauptfrau Burgstaller sollte sich alljährlich dafür schämen.

Wenn Sie auf Ihren Lebensweg schauen: Was sind Einflüsse, Inspirationen, Begegnungen, die Sie prägten?
Was meine Theaterstücke betrifft, so hat es immer Menschen gegeben, die mir nahe standen, die sich künstlerisch mit mir auseinandergesetzt haben. Mit Freunden wie Dieter Berner und Hermann Beil diskutiere ich immer wieder über meine Stücke. Mit Silke Hassler verbindet mich ja nicht nur eine große Liebe, sondern auch ständige literarische Debatten. Ich lese ihr jede neue Szene vor und sie mir die ihren und dann debattieren und streiten wir. Das tun wir nie über Alltagsfragen, über Literatur ständig. Und wenn ich ein fertiges Stück abliefere, dann kommt der leidenschaftliche Josefstadt-Direktor Föttinger und das Debattieren geht von vorne los. Theater ist eine gemeinsame Kunst.

Ihre jüngste Begegnung ist die mit der idance company. Wie kam's dazu?
Die idance company sind junge Tänzer mit Downsyndrom. Die Leiterin der Company, Bea Vavken, hat mich zu einer Vorstellung eingeladen. Ich bin aus einer Mischung von Mitleid und Pflichtgefühl hingegangen, aber das war nach zehn Minuten verflogen. Das sind große Künstler. Sie haben mich gefragt, ob ich mitmachen will, mit Gedichten. Jetzt gibt es immer wieder gemeinsame Aufführungen und das macht mir richtig Freude.

Peter Turrini verspricht neue Stücke

Über Ihre dramatische Arbeit sagten Sie, sie stünde für eine Literatur, "die kein Eingangstor braucht". Ich hatte stets das Gefühl, das Thema Ihres Werks ist die alltägliche Katastrophe, von Ihnen gemalt in krassesten Farben.
Sie haben schon recht, in meinen Stücken geht es oft sehr schlimm zu. Aber meine Tragödien sind auch Komödien. Je krasser die Szenen sind, desto lustiger sind sie. In der Kunst und im Leben. Nehmen Sie zum Beispiel das Alter, dem ich langsam anheimfalle. Man wird kontinuierlich älter und blöder und unfähiger, bis man schließlich tot ist. Wie soll man diese Unausweichlichkeit ertragen? Man macht Witze.

Denkt man beim Schreiben an die Ewigkeit?
Dass sich ein Dramatiker an den Schreibtisch setzt und reißbrettartig alles entwirft - den Skandal bei der Uraufführung, die Übersetzung ins Chinesische, den Platz in der Ewigkeit -, das wäre schön bescheuert. Ich schreibe, weil ich glaube, der Welt etwas mitteilen zu müssen und weil ich nicht anders kann. Ich glaube, dass der Mensch eine grandiose Erfindung ist, die nur ständig hinter ihrem eigenen Entwurf zurückbleibt.
Ich glaube, dass die meisten Menschen zerstört, entwertet werden. Das empört mich und
darüber muss ich schreiben. Ich will die Menschen zum Weinen und zum Lachen und zum Nachdenken bringen. Ob etwas davon gelingt, vielleicht nur für einen Theatermoment, oder ob die Leute schon in der Vorstellung an das Lokal denken, in welches sie nachher gehen werden, das weiß ich nicht. Man kann sich etwas wünschen, kalkulieren kann man gar nichts.

Das heißt?
Für mich ist Theater ein Ort der Menschenerkundung. Ich will die Wirkung des Augenblicks. Ein Theater hat auch etwas mit einem Fußballplatz zu tun. Ein Fußballspieler kann seinem Publikum auch nicht zurufen, dass er in der nächsten Saison besser spielen wird. Am Theater entscheidet sich alles an diesem einem Abend. Deshalb ist es ja auch so gefährlich und so beglückend, wenn es funktioniert.

Wie ist es bei Ihnen eigentlich mit Lampenfieber? Sitzen Sie bei Premieren immer noch immer im Intendantenbüro und trinken Whisky?
Es wird immer schlimmer und die Whiskymenge immer größer.

Das glaube ich Ihnen nicht, da sind Sie ja am Schluss zu blau zum Verbeugen.
Soll ich das nächste Mal beim Verbeugen in den Orchestergraben fallen, damit Sie mir glauben? In der Regel arbeite ich ein Jahr an einem Stück. Dann bin ich oft mehrere Wochen bei den Proben, dann erfahre ich in drei Minuten, ob das Stück funktioniert oder nicht. Daumen rauf oder Daumen runter. Und da soll ich nüchtern und gelassen bleiben?

Früher sagten Sie einmal, ohne fünf Gedichte und einen Dramenentwurf in der Tasche, trauen Sie sich keine Frau anzusprechen. Dann kam vor zwanzig Jahren Silke Hassler in Ihr Leben.
Ich habe am Anfang auch bei der Silke mit der Kunst geprotzt. Wenn ich ein Selbstbewusstsein habe, dann liegt es im Literarischen, nicht im Körperlichen. Ich bin der Silke ja sehr dankbar, dass sie es nicht nur auf das Literarische abgesehen hat. Wir treffen uns ungefähr ein bis zwei Mal in der Woche, nach vorheriger telefonischer Vereinbarung. Ich bin unfähig zum gemeinsamen Alltag. Ich will diskutieren und schöne Sachen machen. Kochen, bügeln und putzen kann ich sowieso besser.

Sie sind gebürtiger Kärntner. Nun bekommt ein anderer Kärntner, Peter Handke, für ein Kärntenstück, "Immer noch Sturm", den Nestroy-Autorenpreis. Hätten Sie lieber getauscht?
Man weiß so wenig über die Kärntner Slowenen, vor allem nach 1945. Die Geschichte der Kärntner Slowenen ist eine vergessene, eine verdrängte. Peter Handke, aber auch Maja Haderlap mit ihrem Roman "Engel des Vergessens", haben die Geschichten dieser Menschen literarisch bewahrt. Wenn der Peter Handke, den ich schon von Jugend an kenne, zur Preisverleihung kommt, dann freue ich mich, ihn zu sehen und wir werden miteinander einen heben, egal, wer welchen Preis bekommen hat.

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