Das schlechteste Gedicht aller Zeiten
Die Inventur geht weiter.
Hat sich Paul Auster im "Winterjournal" (2013) um die Narben auf seinem älter werdenden Körper und um das totgeschwiegene universelle Dilemma gekümmert, die Blase zu entleeren, wenn weit und breit keine Toilette zu finden ist, so ist er in "Bericht aus dem Inneren" ein Kind, das so fest schläft, dass es ins Bett macht.
Das in Newark, New Jersey, Glühwürmchen fängt.
Und dessen Karriere mit folgendem Zweizeiler ihren Anfang nahm:
"Frühling ist hier
Jetzt jubeln wir!"
"Den Rest", notiert Paul Auster, während er durchforstet, "hast du zum Glück vergessen, du weißt nur noch, welch ein Glücksgefühl dich durchströmte, während du das schlechteste Gedicht aller Zeiten schriebst ..."
Sprung ins Nichts
Der 67-jährige Amerikaner, in dessen Romanen (wie "Stadt aus Glas") man oft in Falltüren fiel und sich in Spiegelkabinetten verirrte, kann großartig kleine, alltägliche Geschichten erzählen.
Kann schon sein, dass sich Paul Auster bei seinem Sprung ins Nichts ... also zurück in die weit entfernten 1950er-Jahren etwas verzettelt hat.
Gewiss hätte er uns die Nacherzählung von Kinofilmen ersparen können, die er einst gern gesehen hat.
Und die Fotografien am Ende des Buches, die seine Stadt zeigen und seine Baseball-Helden von damals, dazu Texte wie "Politik war ein schmutziger Sport" ... na gut, soll von mir aus sein.
Aber im Kern trifft er voll. Im Kern entdeckt er sich an markanten Kreuzungen.
Wie alt war er, als er bemerkte, dass seine Eltern keine Leidenschaft füreinander empfanden?
Wann spürte er, dass er Amerikaner ist? Dass er Jude ist? (Es gab damals in den USA für Juden Zulassungsquoten an diversen Schulen.)
Dass wir alle anders sind, als wir zu sein scheinen? Dass sein erster Held, der große Erfinder Thomas A. Edison, ein ganz übler Antisemit war?
Seine ersten zwölf Jahre hat der US-Literaturstar gründlich erforscht. Wie in Trance ging er auf die Reise – bestrebt, nicht in Schönfärberei zu verfallen.
Wer warst du, kleiner Mann?
Paul Austers Mut, diese Frage zu beantworten, hat sich gelohnt. Nicht allein wegen des Buches. Sondern auch, weil es keine besonders schreckliche Reise für ihn war.
KURIER-Wertung:
Kommentare