Orhan Pamuk: Mordet der Vater oder der Sohn?

Oran Pamuk
Der türkische Nobelpreisträger reproduziert zwei Mythen ins heutige Leben.

Ein Problem ist: Man glaubt, Orhan Pamuk will uns andauernd etwas sagen, das nicht da steht. "Die rothaarige Frau" gibt sich so symbolträchtig; und wenn dann ein Pferd gelb gewordenes Gras frisst, denkt man sofort:

Ist das wirklich nur ein Pferd? Und die trockenen Grashalme – zeigen sie vielleicht das Ende des Kapitalismus?

Pamuks zehnter Roman ist u.a. eine Vater-Sohn-Geschichte, die 1985 beginnt und etwa bis 2010 reicht. Mythen dringen ins Heute vor, mit der Vaterfigur könnte ja theoretisch – wenn man Pamuk in Schwierigkeiten bringen will – ein politischer Vater wie Erdogan gemeint sein.

Die Wahl

Orhan Pamuk erzählt die alte griechische Ödipus-Geschichte, bevor er eine moderne Ödipus-Geschichte erzählt.

Und er macht – wie schon 2005 in "Schnee"– mit Rostram und Sohrab aus dem persischen Nationalepos Schahname bekannt.

Einmal tötet der Sohn irrtümlich den Vater (und zeugt mit der Mutter Kinder, irrtümlich), einmal der Vater den Sohn: Heute hat man offensichtlich die Wahl ...

Ein 16-Jähriger aus arm gewordener Apothekerfamilie – der Vater verschwand – muss Geld für die Schule verdienen und wird Lehrling eines Brunnenbauers. Eines sehr lieben, sehr väterlichen Brunnenbauers.

In einer Ortschaft nahe Istanbul sieht er die rothaarige Schauspielerin eines linken Wandertheaters, doppelt so alt wie er ist sie, fix und fertig ist er. Zum ersten Mal verliebt!

Noch 30 Jahre später lässt ihn Pamuk von der kupferbraunen Haut und den großen Brüsten schwärmen.

Der Junge wird mit der Rothaarigen, die – muss man mehr sagen? – auch etwas Mütterliches hat, schlafen ... und den väterlichen Brunnenbaumeister, den wird er unbeabsichtigt mit einem Kübel, aus 25 m Höhe in den Schacht fallen gelassen, umbringen.

Oder fast umbringen?

Das Pferd

Er flüchtet, will nicht wissen, ob sein Meister von ihm erschlagen wurde. Beschäftigt sich mit Ödipus und Schahname. Wird reich. Erfährt mit großer Verspätung, was damals beim Brunnenbauen (und bei der Rothaarigen auf der Couch) geschehen ist.

Dann aber mit voller Wucht. Dann prallen, soll sein, Westen und Osten wieder einmal zusammen. Dann scheppert’s zwischen Islam und lieber keiner Religion.

Aber das Pferd bleibt ein Pferd.

Orhan Pamuk:

„Die rothaarige Frau“
Übersetzt von Gerhard Meier.
Hanser Verlag.
272 Seiten.
22,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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