Oper "Krieg und Frieden" in München: Provokante Russland-Szenen
"Krieg und Frieden" an der Bayerischen Staatsoper in München: In Dmitri Tcherniakovs Regie hat am Sonntag ein schwieriges Werk Premiere gefeiert. Die Oper von Sergej Prokofjew beruht auf Leo Tolstois Roman und spielt im Jahr 1812, als Napoleon in Russland einmarschiert. Es ist ein Stück mit stalinistischer Propaganda und Hymnen, die das russische Militär und "die heilige Mutter Russland" feiern. Zum Schlussapplaus setzen die Sänger beider Hauptpartien ein klares Zeichen.
Die Premiere fällt auf den 70. Todestag von Prokofjew und Stalin, die beide am 5. März 1953 starben. Die Inszenierung wirft die Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle. Das Staatsorchester und die Sänger sind hervorragend, allen voran Olga Kulchynska und Andrei Zhilikhovsky, die als Natascha Rostowa und Fürst Andrej Bolkonski um ihre Liebe ringen. Exzellent auch Arsen Soghomonyan als Graf Pierre Besuchow, der mit Kriegsbegeisterung und Nationalismus so gar nichts anfangen kann.
Die Handlung verlegt Tcherniakov ins Heute. In einem Prunksaal, dem Haus der Gewerkschaften in Moskau nachempfunden, kampieren Erwachsene und Kinder auf Matratzen und Feldbetten, wie in einem Bunker oder einem Schutzraum für Flüchtlinge. In diesem Bettenlager träumen Natascha und ihre Cousine Sonja von Frühling und Liebe. Und Andrej spricht sich Mut zu: "Man muss von ganzem Herzen an die Möglichkeit des Glücks glauben". An Neujahr spielen alle einen Ball nach, bei dem der Adel unter viel Gelächter und Spott Einzug hält, am Ende auch der Zar, als Väterchen Frost.
Im zweiten Teil des rund dreieinhalb Stunden langen Stücks dann der Bruch: Die Männer ziehen in den Krieg und werden bejubelt. Angesichts des realen Krieges in der Ukraine wecken diese Bilder konkrete Assoziationen. Die Menschen haben sich die russische Flagge auf die Wangen gemalt, im Hintergrund weht eine Russlandfahne und ein stimmgewaltiger Chor beschwört "die heilige Mutter Russland" und die Armee: stalinistische Heldenverehrung in Reinform. "Kriegspropaganda! Das ist unmöglich", ruft bei der Generalprobe ein empörter Zuschauer.
"Es kann zu Missverständnissen kommen, weil bei uns die Symbolik teilweise eingesetzt wird, die auch im heutigen Russland sehr propagandatauglich ist", räumt Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski ein. "Aber es kommt darauf an, mit welchen Vorzeichen das benutzt wird." Die Oper erfordere sehr viel Mitdenken und alle sollten die Möglichkeit haben, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Anbiederung an Russland kann man dem in Moskau geborenen Dirigenten, der 1990 die damalige Sowjetunion verließ, ohnehin nicht vorwerfen. Vom Krieg grenzt er sich entschieden ab, am Revers trägt er einen Ukraine-Anstecker mit Friedenstaube und bei Konzerten lässt er öfter mal die Nationalhymne der Ukraine spielen.
Warum dann nicht den Krieg in der Ukraine auf die Bühne holen? "Es wäre falsch, den zu zeigen. Wahrscheinlich sogar zynisch", sagte der russische Regisseur Tcherniakov unlängst der "Süddeutschen Zeitung". "Wir versuchen, sehr sensibel an dieses Thema heranzugehen. Aber selbstverständlich hat es damit zu tun."
Die stalinistische Propaganda in der zweiten Hälfte wurde deshalb entschärft, einiges gestrichen und geändert. "Prokofjew wird dadurch nolens volens zu einem gesellschafts- und systemkritischen Komponisten, was er nie war", findet Jurowski, der die Oper dirigiert. "Das Stück wird aus der Perspektive einer einzigen Gesellschaft, einer Nation, einer menschlichen Gemeinschaft erzählt. Feinde, wenn es welche gibt, werden innerhalb dieser Gesellschaft gefunden oder erfunden. Es gibt keinen Feind von außen."
In der Tat kippt die Helden-Propaganda am Ende. Es bleibt die Erkenntnis, dass das zuvor viel gepriesene Russland alles andere als siegreich ist. Die Bilanz: unzählige Tote und Überlebende, die zutiefst traumatisiert und gebrochen sind. Zum Schlussapplaus setzen Zhilikhovsky und Kulchynska, das Liebespaar Andrej und Natascha, ein klares Zeichen: Als sie vor den Vorhang treten, tragen sie T-Shirts mit dem Wappen der Ukraine.
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