Olivia Rodrigo: „Marionette zu sein, funktioniert für mich nicht“
Sommer 2022. Olivia Rodrigo, die 2021 mit dem Hit „Drivers License“ die Welt eroberte, steht auf der Bühne des englischen Glastonbury-Festivals und kündigt ihren Gast Lilly Allen an. Gemeinsam wollen sie deren Hit „Fuck You“ singen. Doch in der Nacht vorher wurde von den mehrheitlich konservativen Höchstrichtern in den USA das Recht auf Abtreibung gekippt. Rodrigo ist davon so erschüttert, dass sie auf der Bühne eine Rede schwingt: „So viele Frauen und junge Mädchen werden deshalb sterben“, sagt sie, bevor sie alle Namen der Höchstrichter nennt und ihnen „Fuck You“ widmet.
Es ist nicht da erste Mal, dass Rodrigo Mut braucht, um zu dem zu stehen, was ihr wichtig ist. Schon als Teenager ließ sie sich in den sozialen Medien gerne über ihre Frustration mit Präsident Trumps Verfehlungen oder das Entsetzen über den Tod von George Floyd, einem Afroamerikaner, der 2020 von Polizisten ermordet worden war, aus. Sie ist überzeugt: „Dafür ist Musik da: Um deine Wut und deine Unzufriedenheit auszudrücken“.
Das macht Rodrigo verstärkt auf ihrem neuen Album „Guts“ (Deutsch: „Mut“), bei dem die 20-Jährige mehr als auf dem Debüt auf ihre Indie-Rock-Einflüsse eingeht (sie liebt die White Stripes) und die Piano-Balladen, die sie berühmt gemacht haben, in den Hintergrund rückt.
„Als ich die Songs für das erste Album schrieb, war ich 17 und habe mir alleine in meinem Schlafzimmer am Klavier das Herz über den ersten Liebeskummer ausgeschüttet“, erzählte sie kürzlich Apple Music. „Die Songs von ,Guts’ habe ich aber für die Bühne geschrieben.“
Begleitet wird der Sound von bissigen bis desillusionierten Texten über die Doppelmoral in den USA, Geschlechtsnormen und die Mechanismen in ihrem Business.
Das Manifest dazu ist „All-American Bitch“, der erste Song von „Guts“. Dabei geht es um die Erwartungen, immer brav und angepasst aufzutreten, mit denen sie sich konfrontiert sah, seitdem sie mit zwölf Jahren in Los Angeles ihre Schauspielkarriere startete und mit ihrer Rolle in der Disney-Serie „High School Musical: The Musical: The Series“ zum Star wurde.
„Schon damals begann dieser Zwiespalt, dass ich all diese Gefühle von Wut und Unzufriedenheit hatte“, erzählte sie in einem Interview mit der britischen Zeitung The Guardian. „Ich hatte aber immer auch das Gefühl, dass ich die nicht ausdrücken darf – nicht in meinem Job. Ich dachte immer: Das darfst du nicht zugeben. Du musst immer total dankbar sein für die Position, in der du bist, denn so viele andere wären so gerne in dieser Position. Ich habe immer damit gehadert, dass ich einerseits dieses perfekte amerikanische Mädchen sein wollte und sollte, mich aber in der Realität oft auch ganz anders gefühlt habe.“
Es hat Rodrigo befreit, so gar nicht Disney-like in ihren Songs auch mal zu fluchen, sich eine Plattenfirma zu suchen, die keinen lieblichen, sterilen Disney-Popstar aus ihr machen wollte, sondern sie als Singer/Songwriterin sah.
Es hat sie auch befreit in Glastonbury, vor ihrer Rede zum Abtreibungsgesetz an die ganz jungen weiblichen Fans zu denken. „Genau für sie war es so wichtig, zu sagen, was ich denke: Ich als junges Mädchen würde es lieben, jemanden zu sehen, der für meine Zukunft kämpft. Eine Marionette sein, funktioniert für mich nicht mehr.“
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