"Offener Brief" im Wortlaut

Der "offene Brief" von Kurt Bergmann an Werner Faymann und Michael Spindelegger.

10 Grundsätze für einen neuen unabhängigen ORF

Ein „Offener Brief“ an die Chefs der beiden Koalitionsparteien!

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

Sehr geehrter Herr Vizekanzler!

Neugestaltung des Aufsichtsrates, Nachweis der Qualifikation der Stiftungsräte, kein Stimmrecht  der Personalvertretung bei Personalentscheidungen!

Ganz ehrlich, ich habe diese  Initiative für eine Reform des ORF nicht erwartet. Ganz im Gegenteil, ich war aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre ziemlich sicher, dass in dieser Frage das Prinzip „abducken und Zeit gewinnen“ noch mehr als anderswo zum  Einsatz kommt. Umso mehr haben mich Ihre ersten Vorschläge, Herr Bundeskanzler, und Ihre erste Reaktion, Herr Vizekanzler, positiv überrascht. Sie haben  den Weg in die richtige Richtung eingeschlagen und die von ihnen geplante „ORF-KOMMISSION“ sollte ihn konsequent weitergehen.

Der Vorschlag, dass der „unübersichtliche Stiftungsrat“  mit seinen fast ausschließlich von den Parteien direkt, oder indirekt ausgesuchten 35 Mitgliedern, durch einen kleineren  „ordentlichen Aufsichtsrat“, der flexibel und zielstrebig arbeiten kann, ersetzt werden soll, ist richtig und sollte nicht den Begehrlichkeiten von sogenannten Interessenvertretungen, oder Teil-, Landes- und Vorfeldorganisationen geopfert werden.

Der Vorschlag, dass dem neuen „Aufsichtsrat“ nur „hochqualifizierte Leute“ (keine Mandatare oder Mitarbeiter von Ministerien, Parteien oder Vorfeldorganisationen) angehören dürfen, die sich auch einem „Öffentlichen Hearing“ unterziehen müssen, ist richtig und sollte  im künftigen Gesetz genau definiert werden.

Der Vorschlag, die Personalvertretung bei der Wahl ihrer Chefs auszuschließen, um so deren Vertreter vor dem Verdacht des Stimmenkaufs zu schützen, ist richtig, sollte aber in Richtung der im Aktiengesetz vorgesehenen „doppelten Mehrheit“ noch überdacht werden.

Vor fast genau 55 Jahren, am 1. Jänner 1967, trat als Ergebnis des mittlerweile legendären Rundfunkvolksbegehrens (832.353 Unterschriften) ein Gesetz in Kraft, das den seit dem Ende des 2 Weltkrieges praktizierten Parteienproporz im Österreichischen Rundfunk schlicht und einfach abschaffte. Für die damalige Zeit ein mutiger Schritt.                                    

Jetzt könnte/sollte/müsste ein nächster getan werden, in dem die Parteien endgültig auf ihren Einfluss auf den ORF und seine Gremien verzichten. Auf Grund meiner langjährigen  Erfahrungen als Mitarbeiter des ORF (Generalsekretär, Landesintendant) und als Mitglied des Aufsichtsrates (politisch entsandt), erlaube ich mir Ihnen für die geplanten Beratungen in der „ORF-KOMMISSION“ ein Modell für einen objektiven und parteipolitisch unabhängigen ORF der Zukunft vorzulegen:

 

  1. Der Bundespräsident (und nicht wie bisher die Bundesregierung) bestellt nach transparenter Ausschreibung und einem öffentlichem  Hearing erstmals einen verkleinerten Stiftungsrat, der sich ab dann, nach dem Muster der ÖIAG, selbst erneuert.

 

  1. Mandatare sowie Mitarbeiter in den Ministerien, in den Parteien oder in ihren Vorfeldorganisationen  dürfen weder in die Geschäftsführung noch in die Organe des Unternehmens (Schutzfrist 5 Jahre) berufen werden.

 

  1. Die Bundesregierung und die Konferenz der Landeshauptleute können jeweils nur mehr je einen Vertreter nominieren.12 Mitglieder kommen aus folgenden Bereichen: Wissenschaft und  Forschung; Bildung; Kunst; Kultur; Film-, TV und Musikwirtschaft; Religion; Sport; Konsumenten; Jugend; Ältere Menschen; Umweltschutz; und Humanitäre NGO,s. Drei Mitglieder stellt die Belegschaft

 

  1. Der/Die Generaldirektor/in wird (zwingend) in geheimer Wahl bestellt. 

 

  1. Der/Die Generaldirektor/in ernennt die Geschäftsführung. Der Stiftungsrat hat lediglich ein generelles Vetorecht. Bei Personalentscheidungen gilt das im Aktiengesetz vorgeschriebene Prinzip der doppelten Mehrheit. Der Betriebsrat kann so nicht mehr zum „Zünglein an der Waage“ werden.

 

  1. Der ORF erfüllt seinen Öffentlich-Rechtlichen Programmauftrag im Rahmen seiner RADIO-, FERNSEH- und ONLINEangebote (!). Diese bestehen aus drei nationalen (Ö1, Ö3 und FM4) und neun regionalen Radioprogrammen, aus mindestens zwei Fernsehkanälen (ORFeins, ORF2), aus den Spartenkanälen ORFIII und sport+ sowie aus ORF Online

 

  1. Der ORF ist unveräußerlich, er gehört den Österreicher/innen, die ihn finanzieren.

 

  1. Die derzeitigen „ORF Programmentgelte“ sind umsatzsteuerfrei in eine Medienabgabe für die Nutzung von Radio, Fernsehen und Internet  umzuwandeln. Mit dem Kunstförderungsbeitrag sind zweckgebunden österreichische Filmproduktionen zu finanzieren, die Landesabgaben sind zu streichen oder für regionale Radio- und Fernsehproduktionen der Landesstudios zu verwenden. Vom Staat verordnete Gebührenbefreiungen müssen von diesem zu 100 Prozent ersetzt werden

 

  1. Die Kontrolle des ORF in Fragen der Wirtschaftlichkeit  und der Gesetzmäßigkeit obliegt dem Rechnungshof und unabhängigen Wirtschaftsprüfern.

 

  1. Die Werbezeiten bleiben wie bisher, Beschränkungen im Bereich Internet sind aufzuheben.

 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

sehr geehrter Herr Vizekanzler!

Soweit meine Vorschläge, die ich Sie  bitte, in Ihre Überlegungen einzubeziehen und  an die von Ihnen eingesetzte Kommission weiterzuleiten.

Die Österreicherinnen und Österreicher, aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF,  würden es verdienen, dass der  Öffentlich-Rechtliche Rundfunk in Österreich endlich wieder politisch außer Streit gestellt  wird.

Sie beide wissen längst, dass man heute aufgrund der Vielfalt und der Schnelligkeit der Medien – Zeitungen, Radio, Fernsehen und Internet - eine gute Politik nicht krankjammern und eine schlechte nicht schönfärben kann. Versuche politisch zuzugreifen sind kontraproduktiv und  werden von den Wählerinnen und Wählern  abgelehnt.

Ich wünsche Ihnen bei der Umsetzung einer solchen „gewaltigen Reform“ des ORF  Mut, Ausdauer und Erfolg..

 

Hochachtungsvoll.

 

Kurt Bergmann

PS: Ich habe mir erlaubt dieses Schreiben als „Offenen Brief“ auch den Medien zur Verfügung zu stellen

 

 

 

 

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