Österreichs Psycherl-Analyse

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Fritz Schindlecker und Erwin Steinhauer haben sich ihre Heimat vorgenommen. Ein Gespräch über Pseudopatriotismus, Sieghartskirchner Sushi und Politiker, die nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen sind.

Der Schauspieler Erwin Steinhauer und der Autor Fritz Schindlecker haben sich auf die Spuren des Psychoanalytikers Erwin Ringel begeben, der einst die österreichische Seele als „Brutstätte der Neurose“ beschrieb. In Schindleckers und Steinhauers „Psycherl-Analysen“ kommt der gemeine Österreicher nur ein kleines bisschen weniger pathologisiert weg. Hieß die erste, herausgegeben 2016, noch „Wir sind super“, sind wir Österreicherinnen und Österreicher neun Jahre, einen Ibiza-Skandal und eine Corona-Krise später schon ein bisserl weniger „super“. Die Hauptsache aber ist: „So sind wir nicht, oder?“

KURIER: Ein Wiener ist eigentlich das Gegenteil eines Bregenzerwälders. Wie macht man eine gesamt-österreichische „Psycherl-Analyse“, wie bringt man dieses Land auf einen Nenner?

Fritz Schindlecker: Wolfgang Schüssel hat dazu einmal etwas Lustiges gesagt: Österreich befindet sich noch in einem Nation-Building. Das ist gar nicht so daneben. Österreich war immer schon gespalten. Früher gab es einerseits die Deutschnationalen, andererseits die Habsburgtreuen, die sich als etwas Ähnliches wie Österreicher sahen, aber nicht als Nation. Später hat man auf einen provinziellen Föderalismus gesetzt, der immer noch heiliggesprochen wird.

Die Bundesländer vereint vor allem die Abneigung gegen den sogenannten Wasserkopf Wien. In Vorarlberg wird jede Regierung danach beurteilt, wie viele Minister aus dem Westen sie hat.

Erwin Steinhauer: Ja, wir sind ein vielfältiges Wesen.

Schindlecker: Es ist ein bisschen in Mode gekommen, davon zu sprechen, dass wir ein gespaltenes Land sind, aber natürlich beschäftigen sich unsere Bücher auch damit. Im aktuellen geht es sehr um die Zeit nach der Pandemie, Impfbefürworter- und Gegner und den wechselseitigen Umgang miteinander. Die einen sprachen sofort von „Schwurblern“, die anderen vor einem „irrsinnigen System“, was ja bereits ein pathologischer Begriff ist.

Steinhauer: Das ist schon eine Spaltung und es spielt bei Wahlen eine Rolle.

Eine Spaltung zwischen Stadt und Land, verbunden mit einem Rechtsruck, sieht man überall. Ist Österreich die Probebühne für die Welt?

Schindlecker: Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält, hat Friedrich Hebbel schon Mitte des 19. Jahrhunderts gesagt. Ich glaube aber nicht, dass sich Österreich überschätzen sollte, in dem Sinn, dass wir avantgardistisch etwas vorlegen, was dann die halbe Welt uns nachmacht.

Steinhauer: Eher machen wir etwas nach.

Schindlecker: Es ist in ganz Europa so, dass wir eine Rückwärtswende in einen antiquierten Nationalismus sehen. Wir sind beide über 70, wir waren in unserem ganzen persönlichen Erleben lange überzeugt, dass sich im Westen so was wie eine offene Gesellschaft etabliert, einfach, weil es vernünftig ist. Heute erleben wir eine Renationalisierung, in den USA auch eine Fundamentalisierung.

Vielleicht sollten wir dann irgendwann auch über etwas Lustiges reden.

Steinhauer: Ja, eh. Ich möcht nur sagen: Dieses Buch ist vom Gehalt her das Anspruchsvollste, das wir je gemacht haben.

Aber am Cover kommen Sie beide schon sehr kabarettistisch daher. Sie können es den Lesern also nicht verdenken, wenn sie sich auch etwas zum Lachen erwarten.

Schindlecker: Eh nicht. Diese Erwartungen werden ja auch übererfüllt. Dieses Buch ist sehr lustig. Aber nicht nur.

Steinhauer: Und es ist auch vieles einfach nicht lustig momentan.

Ich versuche trotzdem, etwas Positives zu sagen. Was Österreich momentan eindeutig auszeichnet, ist einerseits eine sozialpartnerschaftliche Tradition, die sich gerade wieder bei den schwierigen, letztlich gelungenen Metallerverhandlungen unter Beweis gestellt hat, und andererseits eine Regierung, die kompromissfähig ist.

Steinhauer: Die unbeliebteste Regierung seit ewig.

Was eine Regierung macht, hat nicht unbedingt einen direkten kausalen Zusammenhang mit Umfragewerten.

Steinhauer: Die FPÖ ist umso beliebter, je weniger sie macht.

Trotzdem ist es beeindruckend, dass alle drei Regierungsparteien es nach außen hin schaffen, ihre Differenzen hintanzuhalten.

Steinhauer: In der zweiten Ebene fangen’s schon wieder an, aber oben funktioniert’s.

Ist Kompromissfähigkeit etwas typisch Österreichisches?

Steinhauer: Nein, es ist typisch für vernünftige Menschen zu sagen, ich kriege in einer Regierung, wo ich keine Absolute habe, nicht 100 Prozent meiner Ansprüche durch. Wenn ich halbwegs intelligent bin, weiß ich, ich muss bei Teilbereichen auch nachgeben. Und wir haben das Glück, dass jetzt Leute ganz oben sitzen, von denen einige eine Ahnung von ihrem Geschäft haben.

Schindlecker: Diese Regierung agiert bemerkenswert unhysterisch, sehr angenehm.

Apropos unhysterisch: Warum ist eigentlich der Bundespräsident so beliebt? Steinhauer: Weil er sich nicht auf jeden Disput einlässt. Und weil er nach dem Ibiza-Skandal gesagt hat: So sind wir nicht.

Glauben Sie, er hat das taktisch gesagt? Hat er das nicht wirklich so gemeint?

Steinhauer: Er hat es als Hoffnung gesagt. Aber er weiß schon, welche Menschen da dahinter stecken. Er ist ja nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen.

Sind Sie gerne Österreicher?

Steinhauer: Absolut. Ich kann mir nichts anderes vorstellen. Und vor allem, auch wenn das nicht sehr beliebt ist: Ich bin gern Wiener.

Schindlecker: Ich bin gern Niederösterreicher. Wir haben zu dem Thema lustige Sachen in unserem Buch. Weil mit diesem Pseudopatriotismus, der wirklich nur peinlich ist, auch viele unsinnige Dinge passiert sind. Allein, wenn ich an die Wirtshauskultur denke. Was soll denn bitte niederösterreichische Küche sein? Sieghartskirchner Sushi?

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Fritz Schindlecker, Erwin Steinhauer:
„So sind wir nicht, oder?“
ueberreuter.
200 S. 25€