NSA-Whistleblower: "Man hätte Terror verhindern können"

Bill Binney in "A Good American"
Bill Binney arbeitete für die NSA an Überwachungssoftware. In Graz ist er nun Zentrum eines Films.

Hätte man den Terrorangriff auf das World Trade Center am 9. September 2001 verhindern können? Wäre der Gegenschlag auf die "Achse des Bösen" ausgeblieben, zu dem George W. Bush 2003 mit dem Irak-Krieg ausholte, und unter dessen verheerenden Folgen die Welt bis heute leidet? Und hätten womöglich auch der Anschlag auf die Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo und die ebenfalls islamistischen Terrorakte in Paris im November 2015 gar nicht erst stattgefunden?

Man ist geneigt, diese Fragen mit "ja" zu beantworten, wenn man den spannenden Dokumentarfilm "A Good American" (Premiere in Graz: 10 März) sieht. Der österreichische Regisseur Fritz Moser stellt darin den einstigen NSA-Mitarbeiter Bill Binney in den Mittelpunkt. Binney war zwei Jahre vor Edward Snowden bereits als Whistleblower über die NSA-Massenüberwachung an die Öffentlichkeit getreten. Er hatte unter dem Code-Namen "Thinthread" ein Überwachungsprogramm erstellt, das die Frühwarnung vor Terror-Gefahren, Atom-Schmuggel und Waffenexporten ermöglichen sollte – und zwar unter Wahrung der Privatsphäre der Bürger.

Ende November 2000 war "Thinthread" fertig. Der Einsatz des Programms wurde vom NSA-Management monatelang verhindert, bis es im August 2001 ganz eingestellt wurde – drei Wochen vor 9/11. In "A Good American" erzählt Moser diese Geschichte – und was nach 9/11 mit Bill Binney und seinem Programm geschah.

KURIER: Wie kommt es, dass Ihre Geschichte von einem österreichischen Filmemacher erzählt wird?

Bill Binney: Die amerikanischen Nachrichten und Filmemacher hatten Angst davor, diese Tatsachen zu enthüllen und damit den Geheimdiensten in die Quere zu kommen – nach all dem, was man den "Whistleblowern" angedroht oder angetan hat. Daher ist in den USA nie jemand an mich herangetreten, um einen Film über "Thinthread" zu machen.

Glauben Sie, dass ein kleines Land wie Österreich etwas erreichen kann, wenn es Filme über derartige Skandale produziert?

Ich glaube fest, dass Österreich eine internationale Diskussion über die Spionagetätigkeiten von Regierungen anregen kann. Die Regierungen und ihre Geheimdienste hängen davon ab, dass sie nach außen Einigkeit demonstrieren. Wenn jemand aufzeigt, dass diese Einigkeit bisweilen auf Lügen basiert, dann wird das einen Unterschied machen – egal wie klein das Land ist, aus dem er kommt.

Worin liegt der Unterschied zwischen Ihrem System und den Fakten, die Edward Snowden enthüllt hat?

Die NSA sammelt derzeit den gesamten Datenverkehr aller Menschen auf der ganzen Welt: ihre Telefonate, ihre eMails, ihren Bankverkehr, ihre Internetabfragen und Chats. Eine Datenmenge, deren Auswertung Monate dauert – zu lange, um Anschläge zu verhindern. Mit "Thinthread" wäre man schneller zu Ergebnissen gekommen und hätte Terrorakte verhindern können. Ich denke, dass Snowden uns allen einen großen Gefallen getan hat – nicht nur uns Amerikanern, sondern den Menschen auf der ganzen Welt. Er hat seine Zukunft geopfert, um die Menschen darüber aufzuklären, wie sehr unsere Privatsphäre verletzt wird.

Warum sind Sie eigentlich so überzeugt, dass mit "Thinthread" das Attentat vom 9. September 2001 hätte verhindert werden können?

Wir wissen das, weil Tom Drake, der damals bei der NSA gearbeitet hatte, 2002 alle Informationen, die vor dem Attentat zur Verfügung standen, durch das "Thinthread"-Programm laufen ließ – und es konnten damit fast alle Terroristen erfasst werden, bevor sie ihre Pläne in diese verheerende Tat umsetzen konnten.

Hätten auch spätere Terrorakte in den USA und in Europa verhindert werden können?

Die kurze Antwort ist "ja"! Die Zielrichtung von "Thinthread" war es, mögliche Ziele von Anschlägen und die Terrorszene unter Beobachtung zu halten und Querverbindungen und Netzwerke zu analysieren. Meiner Ansicht nach hätten es Terroristen mit "Thinthread" schwer, eine Tat zu planen, ohne dabei entdeckt zu werden. Alle Terroristen hinterlassen bereits Spuren, lange bevor sie tatsächlich aktiv werden. Das "Aus" für "Thinthread" hat vor allem damit zu tun, dass es nicht genug Geld kostet. Nicht genug, für all jene, die daran verdienen wollen. Je aufwendiger und teurer ein Programm ist, desto besser können NSA und CIA ihre eigene Existenz absichern und dafür viel Geld von der Regierung bekommen.

Was würde passieren, wenn die NSA plötzlich doch "Thinthread" etablieren wollte? Wäre es jetzt noch möglich, die totale Überwachung aller Menschen zu ändern?

Ich würde nicht mehr zur NSA zurückkehren, wenn ich nicht die Garantie hätte, dass ich nicht weiterhin an meiner Arbeit gehindert werde. Und dass die Regierung und auch die Geheimdienste mehr Transparenz erlauben würden, damit die Öffentlichkeit den Glauben an unsere Tätigkeit wiedergewinnt.

Von Gabriele Flossmann/KURIER

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