Malträtiert, ausgesaugt
Nun hat es dieses Genre also auch auf die Bühne des Burgtheaters geschafft. Oder man muss es wohl anders formulieren: Gerhild Steinbuch hat einen neuen Text geschrieben, der von dem Stoff inspiriert ist, und den hat die Regisseurin Adena Jacobs mit viel Video- und Bluteinsatz inszeniert. Mit der Vorlage hat das Stück nur mehr in Ansätzen zu tun. Wer sich erwartet, dass die altbekannte Geschichte linear erzählt wird, kann sich die Theaterkarte sparen. Der Text von Steinbuch greift verschiedene Gedanken auf, die man sich zu „Dracula“ machen kann. Jacobs setzt sie mit einem fast ausschließlich weiblichen Ensemble (Markus Meyer meistert eine fast demütigende Rolle mit Maulkorb) um.
Intensiver Monolog
Es beginnt mit Texteinblendungen – wie der Stummfilm. „Eine Reise. Eine Klinik. Ein Alptraum. Kommt übers Meer. Saugt aus. Löscht aus.“ Worte, die wie Notizen zur Textinterpretation wirken. Sie werden überblendet von einer bühnengreifenden Projektion des blutig aufgerissenen Gesichts einer Frau. Aus dem heraus steigt das bleiche Gesicht von Bibiana Beglau, rotgeränderte Augen, fiese spitze Zähne. Sie erzählt von „Töchtern, Schwestern, Müttern“, denen „das Blut aus dem Gesicht gerissen“ wurde. Der weiße Kopf, der immer größer wird, die Intensität von Beglaus Monolog – es ist schon der Höhepunkt dieses Theaterabends. „Ich erinnere alles“, sagt sie. Das ist der zentrale Satz des Stücks. Steinbuch greift die Idee des Untotseins auf – das mit sich bringt, die ganze Weltgeschichte mitzuerleben und nichts je zu vergessen.
Spinnenhafte nackte Körper
Das Stück führt schließlich in ein Schloss, das eine Klinik ist. Es geht um Fürsorge, die Qual ist, um die Frage, ob Mensch oder Tier, und vor allem geht es um Urängste. Über die Fassade des „Schlosses“, das ein schmuckloses Haus mit unheilverheißend leuchtenden Fenstern ist (Bühne: Eugyeene Teh), krabbeln etwa die Projektionen von immer mehr werdenden nackten Menschenkörpern (Video: Teh und Tobias Jonas). Wer sich nicht vor der Assoziation an Hieronymus Boschs Bildern gruselt, der tut es wegen der spinnenhaften Anmutung. Immer wieder werden Menschen an Seilen herabgelassen, da kann man an Fledermäuse denken, muss aber nicht.
Die Malträtierung des Vampiropfers Lucy – ihre Leiche wird zwecks Dämonenaustreibung gepfählt, gestückelt, geköpft – ist hier Ausgangspunkt für den Gedankenanstoß darüber, wie mit Frauenkörpern auf so vielen Ebenen umgegangen wird. Aber auch allgemein darüber, was „zu Ihrer eigenen Sicherheit“ bedeutet.
Video-Blutorgie
Mit den „Troerinnen“ ist Jacobs im Burgtheater eine gefeierte feministische Umsetzung gelungen. Bei „Nosferatu“ liegt diese nicht so auf der Hand, wirkt mitunter gewollt. Vielleicht ist das Stück deswegen trotz der technischen Aufwändigkeit mitsamt aller Effekte bis hin zur Video-Blutorgie spröde und geht spätestens ab der Hälfte weniger an die Nieren, als man erwarten würde. In Erinnerung bleiben manch beeindruckende Bilder und die aufopfernde schauspielerische Leistung von Beglau, Elisabeth Augustin, Lilith Häßle, Sabine Haupt, Safira Robens und Sylvie Rohrer.
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