Es beginnt schon beim Grundsätzlichen: Wenn man in diesem Haus eine Premiere von "Norma" ansetzt, dann sollte man zu allererst eine herausragende Norma haben. Dazu einen Pollione, der diese schwierige Tenorrolle auf Topniveau ausfüllt. Und dann noch einen Dirigenten von Rang (ehe man sich in einem weiteren Schritt Gedanken über die Regie macht).
Die Wiener Staatsoper erfüllt diese Ansprüche diesfalls leider nicht. Federica Lombardi ist eine gute, sogar sehr gute Sopranistin mit schönem Timbre in den tieferen Lagen, kleineren Unsicherheiten und einem markanten Vibrato in der Höhe. In einem weniger bedeutenden Opernhaus wäre ihre Gestaltung bemerkenswert - gemessen an den Maßstäben der Staatsoper ist sie solide. Noch dazu hat sie das Pech, diese Partie sechs Tage nach Asmik Grigorian, die im Theater an der Wien bei ihrem Rollendebüt bezaubert hatte, nur ein paar hundert Meter weiter zu singen. Lombardi weiß nicht annähernd so zu berühren wie Grigorian (aber das wissen die meisten anderen auch nicht).
Der Pollione an der Staatsoper ist Juan Diego Flórez, ein Belcanto-Sänger mit exzellenter Höhe und herausragenden Spitzentönen - für diese Tenorrolle fehlt es ihm jedoch an Kraft und auch an Ausdruck. Neben den stimmgewaltigeren Damen ist er manchmal kaum zu hören. Nicht seine Schuld, man hätte ihn da besser nicht besetzen sollen.
Der Dirigent, Michele Mariotti, agiert gediegen, steigt manchmal zu sehr auf die Bremse, statt die Dramatik des Stückes voranzutreiben. Dafür zelebriert er mit dem fabelhaften Staatsopernorchester die Schönheiten der Partitur, die Klangfarben sind imponierend. Die orchestrale Gestaltung ist in der Staatsoper um vieles besser als aktuell im Theater an der Wien, wo die Symphoniker zu hören sind.
Spaghetti alla Norma
Soll nun niemand sagen, dass es sich nicht geziemt, zwei Produktionen derart in Relation zueinander zu setzen, Kunst ist ja kein Wettkampf im klassischen Sinn. Wenn allerdings in Wien innerhalb von so kurzer Zeit zweimal "Norma" auf dem Speisezettel steht, fordert das Vergleiche geradezu heraus. Sonst hätte man anders planen oder sich besser abstimmen müssen. In zwei unterschiedlichen Lokalen würde man ja Spaghetti alla Norma, nacheinander genossen, auch in Verbindung zueinander bringen. Und es wird nicht wenige musikalische Gourmets geben, die sich für beide Aufführungen interessieren.
Die bessere Opernpasta gibt es in diesem Fall im Theater an der Wien. Und das liegt auch an der Regie, obwohl jene von Vasily Barkhatev ebendort nicht perfekt ist. Aber sie erzählt die Geschichte stringent und packend, als Story einer modernen Frau, die sich sogar in Kriegszeiten der Liebe zu einem Feind nicht entziehen kann.
Sandelholz im Duty Free Shop
An der Staatsoper nun ist Cyril Teste zugange, er arbeitet mit Live-Videos, die auf transparente Vorhänge projiziert werden, dem Programmheft liegt eine Duftkarte bei, die nach Wald riecht, ein bissl wie starkes Sandelholz im Duty Free Shop. Auf der Bühne selbst ist es aber nicht so innovativ, sondern ziemlich altmodisch mit schwer definierbaren Kostümen. Man sieht einmal ein Lazarett, dann die Druiden mit Gewehren, eine Liebesgeschichte zwischen der Druiden-Priesterin-Seherin Norma und Pollione bzw. der Novizin Adalgisa und Pollione sieht man nicht.
Dass Norma von ihren zwei Kindern, die sie mit Pollione hat, teils durch Vorhänge getrennt ist, kann man emotional verstehen, der Intensität der Handlung ist das aber abträglich. Die Personenführung ist sehr statisch, man kann schwer nachvollziehen, was sich zwischen diesen Dreien abspielt. Immerhin stimmt in der Staatsoper der Schluss zumindest zur Hälfte, weil Norma stirbt (dass Pollione ihr folgt, sieht man nicht).
Vasilia Berzhanskaya ist die Adalgisa mit viel Kraft, einem ansprechenden Timbre und präzisen Spitzentönen, sodass man sich durchaus denkt, sie wäre als Norma genauso gut. Ildebrando d'Arcangelo ist ein honorabler Oroveso, die kleinen Rollen sowie der Chor machen ihre Sache gut.
Die "Norma" an der Staatsoper ist insgesamt eindeutig die B-Seite der Bellini-Platte. Zu sehr al dente.
Kommentare