"Wäre ich unglücklich, würde ich dem Leben den Finger zeigen"

"Wäre ich unglücklich, würde ich dem Leben den Finger zeigen"
Am 7. Oktober kommt der Film „Egon Schiele – Tod und Mädchen“ in die Kinos. In seinem ersten Film spielt Jung-Star Noah Saavedra, 25, gleich die Hauptrolle. In der freizeit erzählt der Wiener, welche Geschichte hinter seinem Namen steckt, warum er nicht der Traummann ist, für den man ihn auf den ersten Blick hält, und weshalb Schiele ein dummer Junge war.

Herr Saavedra, Sie haben einen interessanten Namen. Gibt es auch eine spannende Geschichte dazu?

Meine Mama heißt Saavedra und kommt, wie der Großteil meiner Familie aus Chile. Und Noah war eine Verzweiflungstat, weil sie lange nicht wusste, wie sie mich nennen soll. Meine Mutter ist nicht gläubig. Sie hat aber dann in letzter Instanz zur Bibel gegriffen. Es war ein Fingerzeig auf eine Seite, wo es um Noah ging. Das hat ihr dann gefallen.

Eine gute Wahl. Noah bedeutet Ruhe und war der Bibel nach ein Held. Ist Ihre Familie damals vor dem Militärputsch in Chile geflüchtet?

Ja, aber dass meine Familie nach Österreich gekommen ist, war purer Zufall.

Was ist passiert?

Mein Großvater hat einmal erzählt, dass die österreichische Botschaft die einzige nicht vom Militär besetzte war. Aber es gibt verschiedene Versionen der Geschichte. Im Endeffekt war es so, dass sich meine Familie nicht wirklich ausgesucht hat, wo sie hingegangen ist.

War Ihre Familie glücklich, in Österreich gelandet zu sein? Hier ist es ja eher „gmiatlich“, während Südamerika für Temperament steht.

Ich glaube schon. Sie war zwar einmal kurz in Mosambik, weil es dort kurzfristig eine sozialistische Regierung gab, aber jetzt gefällt es ihr und das muss ja irgendwann angefangen haben. Meine Familie ist jetzt seit 1972 durchgehend in Wien, wo auch ich aufgewachsen bin.

Und jetzt spielen Sie den großen Egon Schiele: Ihr erster Film und gleich die Hauptrolle. Was haben Sie gemacht, als Sie erfahren haben, dass Sie es werden?

Ich weiß es gar nicht mehr. Ich glaube, ich war geschockt, habe durchgeatmet und mich richtig laut gefreut, als ich nach dem Telefonat den Hörer aufgelegt habe.

Die Suche nach einem Hauptdarsteller dauerte eineinhalb Jahre.

Ich glaube, nach mir wurde niemand mehr gecastet. Es war dann relativ schnell klar, dass ich es werde. Beim ersten Casting habe ich versucht, mich so durch den Text zu hangeln, dann wurde ich nochmals eingeladen und es hieß: „Okay, du bist es.“ Ich war richtig überrascht.

Warum? Sie sind jung, schauen gut aus und sind offenbar begabt.

Naja, ich hatte davor ja nur ein Video-Casting gemacht. Das Band lag dann ein Jahr irgendwo rum, wo wir jetzt auch bei der Runde wären, wie ich zu dem Film gekommen bin.

Wunderbar, da brauche ich gar keine Fragen mehr zu stellen.

Das Band hatte Eva Roth (Anm.: Wiener Filmcasterin), die mein vor einem Jahr konserviertes Ich in Händen hielt und mich eigentlich für einen Jugendfilm casten wollte. Meine Aufgabe war, mit einem Mädchen zu flirten. Und das war ihr dann eine Spur zu erotisch, wie sie meinte. Aber wenn ich Zeit hätte, sagte sie, solle ich gleich heute noch zum Casting für einen anderen Film gehen.

Ich kombiniere: „Egon Schiele“.

Genau. Und da bin ich völlig unvorbereitet, aber offenbar erotisch, hingegangen. Ich habe dann vom Blatt runter versucht, mir ungefähr zu merken, worum es in der Szene geht und viel improvisiert. Das scheint dem Regisseur, Dieter Berner, gefallen zu haben. Ich hatte keine Ahnung, wer er ist, aber ich glaube, das war mein Glück. Ich war dadurch vielleicht unprätentiös. Dieter hat auch etwas in mir gesehen, wovon mir gar nicht klar war, dass ich es habe.

Was hat er gesehen?

Es ist mir fast ein bisschen unangenehm, aber er hat irgendwann zu mir gesagt: „Du hast ein bisschen die Arroganz eines Wunderkindes.“ Nicht unbedingt von der Welt, aber von der Mutter geliebt und damit von sich überzeugt. Das hatte Schiele anscheinend auch, zumindest so, wie ihn Dieter interpretiert hat. Schieles Mutter hat zwar nicht gemalt, aber sie hat gesagt: „Du bist großartig. Du zeichnest und malst wie ein junger Gott. Das sollst du weiter machen können.“ Ähnlich ist das bei meiner Mama, die sagt: „Es ist gut, was du machst.“ Auch, wenn sie mir das immer sagen wird, weil sie halt meine Mutter ist.

So selbstverständlich ist das nicht. Es gibt genügend Mütter, die nörgeln. Warum erwähnen Sie eigentlich Ihren Vater nicht?

Weil er wenig da war. Meine Mutter war alleinerziehend und ich wurde im Grunde von vier Frauen aufgezogen. Es gab noch zwei Freundinnen meiner Mutter, die auch Söhne hatten, dann meine Mutter und meine Oma.

Die Vaterfigur hat Ihnen nie gefehlt?

Für mich hat sich die Frage nach dem richtigen Vater und Kontakt zu ihm nie wirklich gestellt. Ich frage mich oft selber, warum mich das Thema so wenig tangiert. Es ist mir nicht egal, aber es ist auch schön, so, wie es ist. Als ich knapp sieben war und in die Schule kam, hatte meine Mutter einen Freund. Er hat mich durch die Pubertät begleitet und ist bis heute ein väterlicher Freund, obwohl die beiden längst getrennt sind. Er hat für mich die Figur des Vaters vollkommen erfolgreich und wunderschön erfüllt.

Kommt Ihr leiblicher Vater aus Chile oder aus Österreich?

Er ist Wiener und kommt aus einer Pizzeria-Fleischerei-Motorfachhandel-Familie.

Werden Sie ihn dennoch zu Ihrer Kinopremiere einladen?

Ehrlich gesagt, frage ich mich, warum ich einen Fremden zu meiner Kinopremiere einladen soll. Wenn er das irgendwie mitkriegt und kommen möchte, soll er vorbeikommen. Aber ich habe ja eigentlich kein Leben mit ihm erlebt.

Noah, glauben Sie an die Liebe?

Uff, ich bin noch so jung. Aber ich glaube eigentlich an gar nichts. Ich bin nicht religiös. Ich glaube dran, dass es toll ist, Liebe zu erleben. Da ist ja nicht jedem gegönnt, weil nicht jeder so weit gehen kann. Aber das, was Liebe überdauert, ist Freundschaft. Liebe und Verliebtsein sind ja nur die großen Amplituden in einer hoffentlich stetigen Freundschaft.

Für 25 sind Sie ganz schön clever.

Ich fühle mich nicht besonders klug. Ich frage mich einfach viele Dinge, aber ich weiß, dass ich nichts weiß.

Ich frage deshalb nach der Liebe, weil Egon Schiele, wie auch der Film zeigt, seine große Liebe Wally für eine Vernunft-Ehe mit Edith Schiele geopfert hat.

Schrecklich, das ist ein dummer Junge. Aber das muss man im geschichtlichen Kontext sehen. Eigentlich greift man sich an den Kopf, weil Schiele nie so tolle Bilder gemalt hat, als zu der Zeit, als er mit Wally Neuzil zusammen war. Sie war auch sein Model. Da ist er explodiert und war unglaublich produktiv. Danach ist er eingegangen. Der Krieg, die spanische Grippe ... aber auch künstlerisch.

Warum hat er sie verlassen?

Aus einem praktischen Grund. Er war schon älter und brauchte eine Frau, die sich herzeigen lässt und die ihn vielleicht noch unterstützen kann. Und das war Edith Schiele, die aus bürgerlichem Hause kam und zumindest ein bisschen Knete hatte. So unromantisch das ist, war das damals wahrscheinlich ein großes Plus. Ein Model war damals fast gleichzustellen mit einer Prostituierten. Die hat man bezahlt und die hatten natürlich sexuelle Beziehungen zu den Künstlern. Klimt hatte angeblich 14 Kinder. Das passiert nicht einfach aus Zufall. Er hat mit vielen seiner Modelle geschlafen. Aber er war ein toller Typ und hat sie dann auch aufgenommen.

Geld oder Liebe?

Hä? Warum fragen Sie das überhaupt?

Keine Ahnung. Zur Sicherheit.

Geld natürlich ... nein, ganz klar Liebe. Ich habe Geld bisher noch nicht kennengelernt, deshalb geht es mir auch nicht ab. Aber Liebe kenne ich und sie würde mir abgehen.

Sie sind ein fescher Kerl und offenbar auch kinderlieb, da Sie während Ihres Zivildienstes in einem Kindergarten gearbeitet haben. Eigentlich ein Jackpot für jede Frau. Wie sehen Sie das?

Nein, ich habe viel zu viele Zweifel über mich selbst. Beim Schauspielen bist du ständig auf dich selbst zurückgeworfen. Malen wir uns aus, es würde bei einer Vorstellung nicht geklatscht, sondern gebuht. Dann liegt es an mir und meinem Körper, meiner Stimme, meinem Intellekt und meiner Fantasie. Ein schrecklicher Beruf, weil man sich das Hirn über so viele Dinge zermartert, die vielleicht gar nicht wichtig sind im Leben. Aber der Applaus ist toll. Da fühlt man sich bestätigt.

Sie haben gleich in Ihrem ersten Film eine Hauptrolle ergattert. Sie müssten eigentlich nicht zweifeln.

Wer weiß? Vielleicht bin ich auch nur eine Sternschnuppe oder ein One-Hit-Wonder. Das kann gleich wieder vorbei sein, was ich nicht hoffe. Weil ich habe sehr Lust.

Auch auf die vielen Interviews, die nun auf Sie zukommen werden?

Am allerliebsten würde ich es halten wie Tom Waits. Aber das ist beim ersten Film vielleicht schwierig.

Ich glaube, das müssen Sie erklären.

Waits hat eine Kunstfigur erfunden, die ständig besoffen ist. Er selbst ist ja trocken, gibt keine Interviews und lebt mit seiner Frau und den zwei oder drei Kindern ein idyllisches Leben irgendwo am Land. Er macht trotzdem seine Kunst, dreht trotzdem seine Filme und das finde ich großartig. Weil: Es braucht den Ausgleich, es braucht die Stille.

Sind Sie derzeit glücklich, Noah?

Ich bin nie glücklich, aber ja, klar. Ich bin okay. Es geht mir ja nicht schlecht. Ich wohne in einem Sozialstaat und spreche die Sprache des Landes, aus dem ich komme. Das ist schon mal ein riesengroßes Glück. Ich habe so ein bisschen den Jackpot gezogen, was meine Lebenssituation angeht. Wäre ich unglücklich, würde ich meinem Leben ziemlich den Finger zeigen.

Trotzdem ertappt man sich oft dabei, zu hadern, nicht?

Absolut. Ich bin trotzdem unzufrieden. Immer wieder mal. Das wechselt von Sekunde zu Sekunde.

Dann haben Sie ein wirklich anstrengendes Leben.

Das glaube ich auch. Und trotzdem ist alles gut.

Möchten Sie noch etwas loswerden?

Nein, überhaupt nichts. Ich möchte jetzt frühstücken.

Noah Saavedra, 25, wurde in einer alternativen Geburtsklinik im Burgenland geboren und wuchs in Wien auf. Unentschlossen, was er mit seinem Leben anfangen sollte, bewarb sich der Sohn einer Chilenin und eines Wieners am Burgtheater und wurde prompt für die „Junge Burg“ engagiert. Als Saavedra für seine erste Filmrolle vorsprach, wurde er gleich als Hauptdarsteller engagiert. Derzeit lebt er in Berlin und besucht die Schauspielschule Ernst Busch. Auf die Frage, warum er nicht in Wien geblieben ist, meint er: „Ich wollte es mir nicht so einfach machen.“

Ab 7. Oktober ist Noah Saavedra im Film „Egon Schiele – Tod und Mädchen“ zu sehen. Er spielt die Hauptrolle und ist nicht nur aus schauspielerischer Sicht ein Hingucker.

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