Schleier, Kopfstand und Selbstbewusstsein

Nilbar Güreş inszeniert oft absurde Szenen, die die Position von Frauen beleuchten: Das Bild „Wohnzimmer“ aus der Serie „Çirçir“, 2010
Nilbar Güreş enttarnt Zwänge auf poetische Art. Dafür erhielt sie den Otto-Mauer-Preis.

Mitten im KURIER-Gespräch kramt Nilbar Güreş eine Zeitschrift mit Karikaturen aus ihrer Handtasche. Nein, nicht Charlie Hebdo, sondern Leman, ein türkisches Satiremagazin. Am Cover werden IS-Kämpfer veräppelt, die freiheitsliebende Schafe bedrohen. "Ihr habt so ein Magazin in Österreich nicht, oder?", fragt die Künstlerin.

Schleier, Kopfstand und Selbstbewusstsein
Nilbar Güres, Ottto-Mauer-Preisträgerin 2014
Zu den Dingen, die sie in ihrer Wahlheimat Österreich verwundern, gehört die Fähigkeit zum "Sowohl-als-Auch": Die Kirche kritisieren, aber brav Weihnachten feiern; gegen Staat und Patriarchat wettern, aber doch nie mit der Sippe brechen. "In der Türkei sind wir da mutiger", sagt sie.

Güreş ist ein "Ganz oder gar nicht"-Typ. Der Macht von Familie, Staat und Religion wollte sie sich nie unterordnen, Diskriminierung jedweder Art bringt sie auf die Barrikaden. Als Tochter eines kurdischen Vaters, der der Gemeinschaft der Aleviten angehörte, sei sie auch in der Türkei "oft genug diskriminiert worden", erzählt die 1977 geborene Künstlerin.

Subtile Rebellion

Güreş’ künstlerisches Werk, das kürzlich mit dem Otto-Mauer-Preis, der wichtigsten Ehrung für in Österreich arbeitende Künstler unter 40, ausgezeichnet wurde, erschöpft sich aber nie in platten rebellischen Statements: In Fotografien, Videos, Zeichnungen und Installationen schafft die Künstlerin vielmehr seltsame Konstellationen, die bestehende Verhältnisse subtil verdrehen.

Frauen erscheinen da an Kopftüchern in seltsamen Positionen verknotet oder stehen buchstäblich Kopf; in einem Video aus dem Jahr 2006 reißt sich Güreş nach und nach Tücher vom Haupt. Der Zufall wollte es, dass der Film vergangene Woche inmitten der Nachwehen des Charlie Hebdo-Attentats am Institut für islamische Kultur in Paris gezeigt wurde.

Güreş betont aber, dass sie ihre Arbeit keinesfalls nur als Auseinandersetzung mit dem türkischen oder dem islamischen Kulturkreis verstanden wissen wolle: Dass Identität von außen oktroyiert und freie Entfaltung verunmöglicht wird, erkannte die Künstlerin zuletzt auch in Brasilien, wo sie bei der "São Paulo Biennale" ausstellte.

Worauf Güreş wiederholt zurückkommt, sind Materialien, die mit Identität "aufgeladen" sind, insbesondere Stoffe. Ein Morgenmantel, den die Mutter einst für ihre Mitgift aufgehoben hatte, taucht in einem Foto auf, ein roter Brautschleier wird zur "Skulptur": Durch die Transformation "befreit" Güreş die Objekte, und darin steckt Symbolkraft. Die Menschen nehmen bei ihr das Schicksal selbst in die Hand – und aus Zwang wird Zuversicht.

INFO
Ausstellungen: Bis 1. Februar, Jesuitenfoyer, Bäckerstraße 18, 1010 Wien, So. 12–13 Uhr, Mo., Di. 16–19 Uhr;
otto-mauer-fonds.at.
Bis 24. 1.: Foto Kunst Stadtforum Innsbruck,
btv-fokus.at

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