Nick Cave schlüpft in die Rolle seiner Frau
Mit „ausschließlich neurotischen, sexuell aufgeladenen männlichen Sachen“ hat sich Nick Cave in den letzten fünf Jahren beschäftigt. Und zwar ausschließlich. Er schrieb ein Album für seine andere Band Grinderman, das Drehbuch zum Gangster-Film „Lawless“ und den Roman „Der Tod des Bunny Munro“ über einen Kosmetika-Vertreter, der von Frauen besessen ist.
Deshalb sind jetzt bei seinem nächsten Freitag erscheinenden Bad-Seeds-Album „Push The Sky Away“ – das erste seit „Dig, Lazarus, Dig“ von 2008 – die Frauen das Hauptthema. Nick Cave im Interview.
Wenn Sie mit einem neuen Album beginnen, was definiert, ob es ein Grinderman oder ein Bad-Seeds-Album wird?
Nick Cave: Alles, was ich mache, schreibe ich speziell für ein bestimmtes Projekt. Ich setze mich in mein Büro und schreibe die Songs für das nächste Bad-Seeds-Album. Ich denke nicht in Kategorien wie "Oh, das ist eher ein Grinderman-Song" und hebe den dann auf, bis wir wieder mit Grinderman arbeiten. Aber ich habe ohnehin nicht versucht, etwas zu schreiben, das sich wie Grinderman anfühlt. Wenn ich etwas angefangen hätte, das in diese Richtung gegangen wäre, hätte ich es gleich verworfen.
Es gibt sicher einen großen femininen Aspekt in diesem Album. Aber das liegt nicht an dem, was ich in die Platte eingebracht habe, sondern an dem, was ich ausgeschlossen habe. Ich hatte die Grinderman-Sachen gemacht, ich habe denRoman "Der Tod des Bunny Munro" geschrieben, was sich alles intensiv mit Männlichkeit beschäftigt hat. Das waren alles neurotische, sexuell aufgeladene männliche Sachen. Also habe ich diesmal beim Schreiben, wenn ich wieder an solche Sachen gedacht habe, sie gleich ausgeschlossen und nach anderen Themen gesucht.
Basieren die Charaktere in Ihren Songs auf realen Personen?
Ich würde sagen, dass sie eigentlich ich sind. Wenn ich über meine Frau schreibe - was ich oft mache -, ich weiß einfach nicht, was wirklich in ihr vorgeht. Ich verbringe viel Zeit mit ihr, und sie verbringt viel Zeit mit mir, aber ich bin nicht sicher, wie viel wir tatsächlich darüber wissen, was im tiefsten Inneren des anderen vorgeht. Ich glaube, keiner weiß das genau von seinem Partner. Wenn ich also über meine Frau schreibe, beobachte ich sie von meiner Warte aus. Und wenn ich über gewisse Dinge aus ihrer Sicht schreibe, bin es eigentlich ich - verkleidet als meine Frau. Und ich denke, so geht das bei allen Songs: Ich gehe in diesen imaginativen Raum, in dem es darum geht, mich in etwas oder jemand anderen zu transformieren.
Macht es Ihrer Frau etwas aus, auf diese Art in ihren Songs aufzutauchen?
Das ist halt der Pakt, oder? Der Faustische Pakt zwischen dem Schreiber und seiner Muse: In dieser Beziehung ist nichts unantastbar, alles wird geteilt. Man wird vielleicht in manchen Songs unsterblich gemacht, aber genauso wird jeder heilige Moment hervorgekramt und als Song wieder ausgespuckt. Aber sie liebt diese Platte. Ich habe sie noch nie so betroffen von etwas gesehen, was ich gemacht habe. Deshalb ist sie auf dem Cover abgebildet.
Wie ist das Cover-Foto zustande gekommen?
Das war ein kompletter Zufall. Susie, meine Frau, hatte ein Shooting mit der französischen Fotografin Dominque Issermann, mit der wir gut befreundet sind. Sie haben das in unserem Schlafzimmer fotografiert, Susie war nackt und wollte sich gerade etwas anziehen gehen. Ich kam rein, und Dominique sagte: "Mach das Fenster auf!" Das habe ich gemacht und sie hat abgedrückt. Und als wir uns dann die Fotos angeschaut haben, sagten wir, das ist großartig, das ist ein Cover!
Der Song basiert eigentlich auf einem Gedicht - einem recht primitiven Gedicht - über ein Fruchtbarkeitsritual. Ich kann nicht sagen, wie viele Hunderte und Tausende Jahre alt dieses spezielle Gedicht ist, aber es ging in etwa so: "Wir sind Männer und wir haben steife Penise. Und da drüben sind Frauen und wir laufen hinüber und springen sie an." Ein komplett wahnsinniges Gedicht. Also habe ich eine heutiges Fruchtbarkeitsritual geschrieben. Die Leute in dem Song haben iPods, aber was in dem Song vorgeht ist dem Gedicht nicht unähnlich.
Sie zeigen aber auch viel Humor. In "Mermaids" sprechen Sie von "Autofahrer-Achtsamkeits-Kursen", von "Ehemann-Achtsamkeits-Kursen" und von "Meerjungfrauen-Achtsamkeits-Kursen". Wie kommen Sie auf so etwas?
Ich musste selbst einen Autofahrer-Achtsamkeits-Kurs absolvieren, weil ich mein Auto unten am Strand in eine Radar-Kamera eingebaut habe. Brillant - für eine ganze Weile war ich das Tischgespräch von Brighton, weil ich diese spezielle Radar-Falle kaputt gefahren habe. Jedenfalls habe ich während meines Autofahrer-Achtsamkeits-Kurses mehr dieses Lied geschrieben, als Achtsamkeit geübt. So gab es die Zeile "Ich bin auf einem Autofahrer-Achtsamkeits-Kurs". Davon war ich schnell beim "Ehemann-Achtsamkeits-Kurs". Und dann war der für die Meerjungfrauen auch nicht weit.
Gibt es Wechselwirkungen zwischen dem Schreiben von Songs und Nebenprojekten wie das Script zum Film "Lawless", das sie voriges Jahr fertig gemacht haben ?
Es gibt immer eine gewisse Begeisterung, wenn man zustimmt, etwas zu machen, das man noch nicht gemacht hat. Mit dem Drehbuchschreiben dachte ich zuerst: "Ja, das will ich versuchen." Dann schreibst du es und denkst, "Hey, das kann ich ja auch." Dann schreibst du ein zweites Script und denkst "Jetzt bin ich Drehbuchautor". Das hat mich aber ein bisschen von meinem eigentlichen Business, den Bad Seeds, ferngehalten. Und es war eine große Erleichterung, dahin zurückzukommen. "Lawless" hat so viel Zeit und Energie gekostet, so viele Kämpfe mit so vielen unterschiedlichen Leuten mit so vielen unterschiedlichen Anliegen. Deshalb war es das reinste Vergnügen, mit den Typen von den Bad Seeds wieder zusammenzukommen, mit meinen Freunden, mit Musikern, die auf einer ganz anderen Eben kommunizieren. Und es gibt dabei kein anderes Ansinnen, als gemeinsam coole Musik zu machen. Ich kann gar nicht sagen, wie befreiend das war.
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