Nichtstun ist das Schwierigste

Nichtstun ist das Schwierigste
Die Grande Dame der Performancekunst im Gespräch über ihr Rockstar-Dasein, ihre Ausdauer und ihre Dokumentation bei der Viennale.

Mehr als eine halbe Million Besucher sahen 2010 im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) die Schau "Marina Abramović – The Artist Is Present". Die aus Serbien stammende Künstlerin saß dabei während der gesamten Öffnungszeit auf einem Stuhl und blickte Menschen in die Augen – insgesamt 750 Stunden lang.

Am Freitag hat die berührende Dokumentation über das Projekt bei der Viennale Premiere (Kinostart am 9. 11.) . Ko-produziert wurde sie von Francesca Habsburgs "TBA-21", mit der die Künstlerin auch eine Schau in einem neuen, mobilen Kunst-Container plant.

Am Donnerstag eröffnete Abramović in der Wiener Galerie Krinzinger eine Ausstellung mit Fotos, die sie in meditativen Posen zeigen (bis 24. 11) . Als die 66-Jährige in der Galerie Platz nimmt – ganz in Schwarz, das 2008 verliehene österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst um den Hals – wird klar: Auch ein Interview ist Performance.

"Nichtstun ist die Essenz von allem".

KURIER: Was bedeutet Nichtstun für Sie?
Marina Abramović: Es ist unglaublich wichtig, die Essenz von allem, und wir vergessen darauf. Bei "The Artist Is Present" ging es buchstäblich ums Nichtstun – und es war das Schwierigste, was ich je getan habe. Aus dem Nichts ist all diese Arbeit hier in der Galerie entstanden: Ich habe in diesen drei Monaten die Wichtigkeit von Leere erkannt – und von Energie. In den Fotos wollte ich diese Erfahrung festhalten.

Im Film gibt es eine Szene, in der Sie Ihren Mitarbeitern sinngemäß sagen: Vergesst dieses Zen-Zeug, ich bin eigentlich ganz anders.
Das war während des Aufbaus der MoMA-Ausstellung, als nichts fertig war – natürlich ist man da gestresst. In meinem realen Leben habe ich einen verrückten Zeitplan (Abramović zieht eine Terminliste ihres Wien-Besuchs hervor) – nicht nur hier, sondern überall. Ich fliege von hier nach Abu Dhabi, nach Russland, nach Rom. Die einzige Zeit, die ich habe, ist während meiner Arbeit – daher werden auch meine Performances immer länger, je kürzer mein verbleibendes Leben wird (lacht) .

Ständig auf Tour, dazu viele, eher junge Fans – wie unterscheidet sich Ihr Leben von dem eines Rockstars?
Vielleicht ist der einzige Unterschied der Kontext. Dass ich nun auch von der Massenkultur akzeptiert werde, bringt Verantwortung – die Gefahren sind für mich weniger groß, weil der Erfolg so langsam kam. Mit 25 Jahren wäre ich vielleicht mit einer Überdosis Drogen so erledigt wie alle anderen. Nun nutze ich meinen Erfolg: Ich habe eben einen Vertrag mit dem Architekten Rem Koolhaas und der Regierung von Montenegro unterzeichnet, um dort ein Kunstzentrum in einer ehemaligen Kühlschrank-Fabrik zu gestalten. Das bringt 2000 Menschen Jobs.

Ein Star ist auch der Magier David Blaine, der es zuletzt 72 Stunden neben einer Million Volt auf einer Säule aushielt. Der Film zeigt, dass Sie überlegten, mit ihm zusammenzuarbeiten. Im Ernst?
Es wäre verrückt gewesen, ihn für das MoMA zu engagieren. Aber ich möchte definitiv etwas mit ihm tun. Es ist wichtig, über Disziplinen hinwegzudenken.

Wo ziehen Sie die Grenzen der Kunst? War Felix Baumgartners Stratos-Sprung auch Performancekunst?

Ganz einfach: Ich arbeite im Kunstkontext, daher bin ich Künstlerin. Ein Bäcker kann das beste Brot der Welt backen – es ist nicht Kunst. Wenn Joseph Beuys in einer Galerie Brot herstellt, ist es welche. Gleichzeitig schaffen wir diese Limits in unseren Köpfen. Ich kann all die anderen Dinge bewundern, ohne das, was meine Arbeit ausmacht, zu untergraben.

Sie hätten heuer auch in der Kunsthalle Wien eine große Schau eröffnen sollen. Daraus wurde nichts – wie man hört, wäre es für die Institution zu teuer geworden.
Ich glaube, es ist einfacher zu sagen, dass es am Geld lag und nicht an politischen Komplikationen. Es war Gerald Matts Projekt, er schied als Direktor aus, und man wollte es nicht fortsetzen. Das ist, wie ich denke, die einfachere Erklärung.

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