Nicht allein in leeren Hallen: Ideen zum virtuellen Museumsbesuch
Wie oft haben wir Kulturjournalisten diesen Satz in den vergangenen Jahren doch gehört: "Die digitale Technik kann die Begegnung mit dem Originalkunstwerk nicht ersetzen."
Nun sitzen wir zuhause und wünschen uns, sie könnte es, wenn auch nur ein kleines bisschen.
Tatsächlich lässt sich das Gesamterlebnis eines Museumsbesuchs - zu dem auch die Atmosphäre der Räume und die Aura der einzigartigen Objekte gehört, die auch durch Ausleuchtung und die Präsentationsweis mitdefiniert wird, nicht einfach so reproduzieren. Und wer vom Arbeitstisch oder der Wohnzimmercouch aus nach erbaulichen Kunsterlebnissen sucht, der merkt, dass auch im digitalen Raum alles mit der Vermittlung steht und fällt: Eine detailgenaue Reproduktion von Gemälden oder Skulpturen ist stets nur eine Grundlage, der Rest ist eine Frage des "Interface", der Schnittstelle. Vitrinen, Rahmen und Lichtspots haben sich im analogen "Interface Design" von Museen bewährt - im Digitalraum wird noch probiert.
Täglich ein Bild für fünf Minuten
Dass eine gelungene Vermittlung nicht zwingend die elaborierteste Technik braucht, führt dieser Tage das Wiener Belvedere vor: Hier hat die Kommunikations- und Vermittlungsabteilung rasch reagiert und kurz vor der Schließung eine Reihe von Kurzführungen in der Schausammlung gefilmt. Täglich um 15 Uhr wird nun ein neues Video auf Youtube und den Social Media-Kanälen des Belvedere (Facebook/Twitter/ Instagram) online gestellt. Der Kunstvermittler Markus Hübl erklärt darin jeweils ein einziges Bild.
Dabei geht es querbeet durch alle Epochen und nicht nur zu den bekannten Highlights der Sammlung: Das Landschaftsbild "Die Reiherbeize von Laxenburg" des Malers Johann Christan Brand aus der Zeit von Maria Theresia (1759) ist etwa nicht gerade der Touristen-Hotspot, und doch erfährt man in dem Video Verblüffendes über gesellschaftliche Normen jener Zeit.
"Wir haben in der Kunstvermittlung immer das Bemühen, Themenbereiche herauszukitzeln, die in der Sammlung wichtig, aber nicht immer offensichtlich sind", sagt Hübl, der für das Projekt aus seiner Praxis im Museum geschöpft hat. "Ich würde mich freuen, wenn diese Führungen unter anderen Vorzeichen ein laufendes Format werden könnten - als Appetithappen für den tatsächlichen Besuch."
Ohne Google geht's nicht
Dass viele große Museen ihre Digitalkanäle vor allem darauf ausrichten, Menschen ins Museum zu bringen, wird schnell ersichtlich, wenn der "Bühnenvorhang" geschlossen ist und der Blick gezwungenermaßen auf das Dahinter und Daneben schweift. Die Aufgabe, digitale Zugänge zu schaffen, wurde wohl auch mangels eigener Ressourcen sehr oft an Technikfirmen mit entsprechender Rechen-Power ausgelagert: Das "Google Arts Project" schwebt hier über allem - mehr als 500 Museen, darunter alle großen Wiener Häuser, haben hier einen Fußabdruck.
Wie groß und detailliert dieser ist, variiert allerdings. Viele - darunter das Leopold Museum in Wien - stellen auf der Plattform vor allem Highlights der Sammlung vor, die in hoch aufgelöster Form reproduziert sind und extrem nah herangezoomt werden können. Hinzu kommen noch "Online-Ausstellungen", die sich einzelnen Schwerpunkten widmen. Im Wiener KHM ist das etwa Vermeers "Malkunst".
Die dritte Google-Dimension ist schließlich der Dienst "Street View", angewandt auf Museumsräume: Hier kann man im Ego-Shooter-Modus durch die Räumlichkeiten der jeweiligen Institution flitzen, was einem "realen" Museumsbesuch zwar nicht gleichkommt, aber zumindest einen Eindruck der Räumlichkeiten verschafft.
Ihr Rezensent fühlt sich bei solchen Rundgängen in leeren Hallen aber ein bisschen einsam und sehnt sich nach Gesellschaft. Und die Plattform bietet auch das - in Form von Video-Segmenten, in denen teils prominente Stimmen einzelne Kunstwerke erläutern. So spricht etwa die großartige kanadische Sängerin Leslie Feist über den "Turmbau zu Babel" von Pieter Bruegel d.Ä. im KHM.
Die hausgemachte Online-Sammlung des KHM schafft den Spagat zwischen wissenschaftlicher Bestands-Erfassung und Benutzerfreundlichkeit übrigens auch gut: Der Saalplan des Museums weist für jeden einzelnen Raum alle ausgestellten Objekte aus und verlinkt mit den hochwertigen Bildern und gut lesbaren Einträgen mit der Objektdatenbank. So lassen sich einzelne Werke im Detail studieren.
Auf Zeitreise um die Welt
In Sachen fortschrittlicher Interfaces hat jedoch das Projekt "Museum of the World", das das British Museum gemeinsam mit Google entwickelte, die Nase vorn: Hier bewegen sich User entlang einer Zeitleiste, in denen verschiedene Weltregionen (Afrika/Amerika/Europa/Asien/Ozeanien) die "Schienen" bilden. Es lassen sich verschiedene Themenschwerpunkte anwählen, zu denen die Website dann jeweils einzelne Exponate der Sammlung präsentiert. Diese sind dann wiederum mit verwandten Objekten aus anderen Zeiten oder Epochen vernetzt, die User hanteln sich durch, können auf Wunsch Texte und Audio-Erklärungen zu den Objekten abrufen und sie auf einer Karte lokalisieren: So macht Erkunden Spaß.
Augmented-Reality-App austricksen
Die Zahl der sonstigen Vermittlungstools, die in den vergangenen Jahren Einzug in die Museen gehalten haben, ist längst nicht mehr zu überblicken. Doch wie erwähnt, sind die meisten auf den tatsächlichen Museumsbesuch ausgerichtet: Das betrifft auch die in Wien entwickelte "Augmented Reality"-App Artivive, die u.a. in der Albertina-Schausammlung zum Einsatz kommt. Wer die Handykamera it der App auf die Werke richtet, kann die Werke "zum Leben erwecken" und interessante Filme mit weiterführenden Informationen abrufen.
Wie Firmengründer Sergiu Ardelean dem KURIER bestätigt, gibt es in der gegenwärtigen Situation auch einen Trick: Denn die App unterscheidet nicht zwischen Original und Reproduktion, und so können auch User, die Werke am Bildschirm oder in einem Buch vor sich haben, die Bilder "wecken". Mittlerweile hat Artivive alle Bilder, zu denen die App in der Albertina und im Belvedere Zusatz-Features liefert, gesammelt online gestellt: Darunter findet sich etwa Alexej Jawlenskys "Mädchen mit Blumenhut" aus der Sammlung Batliner (unten).
Kommentare