New York klingt echt, weil Buchstaben fehlen

John Dos Passos
Dos Passos' "Manhattan Transfer" ist näher ans amerikanische Original gerückt.

In den vergangenen Jahren hat man / hätte man vergessen können, dass "Manhattan Transfer" (1925) zu den allergrößten amerikanischen Romanen gehört.

Es war ja wirklich zum Vergessen, dass ein Hafenarbeiter in New York, der im ärgsten Slang redete, in der alten Übersetzung zum Beispiel sagte:

"Ich besitze keinen roten Heller."

John Dos Passos (1896 – 1970) hatte immer DEN Sound, aber im Deutschen den falschen.

In der Neufassung von Dirk van Gunsteren fehlt jetzt manchmal bloß ein Buchstabe, und schon hört es sich echt an:

Was n los?

Jetz kann ich nirgends mehr hin.

Klockediklock

New York spricht.

New York ist Sprache geworden. Viele Sprachen fließen ineinander und auseinander.

Die Stadt ist, wie die Eisenbahn, Klockediklock. Sie rasselt wie die Dampfwalze auf der frisch geteerten Straße. sie klimpert wie ein mechanisches Klavier, schnurrt wie ein Taxi dahin ...

Und die Menschen, die brüllen, weinen, zwitschern, schnauben, zirpen. Das Gewimmel in Richtung Broadway bebt.

Im ebenso grandiosen Hörspiel (Hörbuch Hamburg, rund 16 Euro) verstärken Saxofon, Klarinette, Perkussion, Flöte, Klavier ... Rhythmus und Melodie des 50-köpfigen Sprecherensembles, u.a. sind Axel Prahl, Sophie Rois und Ulrich Noethen dabei.

Musik der 60

New York ist Umschlagplatz. 1900, 1910, 1920 kommen Menschen von überall her, Matrosen, Huren, Anwälte, Großartige, Tellerwäscher, Totschläger, Politiker, Arbeitslose – nur kurz darf man sie begleiten und sich gemeinsam mit ihnen umschauen. Sie teilen mit uns ihre Banalitäten und Dramen.

Danach verschwinden die Figuren – Dos Passos Komposition umfasst rund 60 Leute, die die Musik machen sozusagen

Diese Typen sind unwichtig. Alle sind sie (wir) unwichtig. Sie gehören nicht den Lesern, sondern der mächtigen Stadt.

Wer nicht kapiert, wie New York funktioniert, wer nicht funktioniert, der wird von ihr gefressen, und vielleicht fischt ihn der Kapitän eines Schleppers tot aus dem Fluss.

Ein Experiment war "Manhattan Transfer", als der Roman erstmals erschien. Eine Collage mit aktuellen Zeitungsausschnitten, Vorläufer von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz". Man braucht keine Angst davor zu haben. Es ist Genuss.

"Sag mal, is das hier New York?"

"Allerdings isses das. Folg einfach meiner Laterne ..."

John Dos Passos:
„Manhattan Transfer“
Übersetzt von Dirk van Gunsteren.
Nachwort von Clemens Meyer.
Rowohlt Verlag.
544 Seiten. 25,70 Euro.

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