Neues von Margaret Atwood: Shakespeare im Gefängnis

Margaret Atwood
Margaret Atwood, Roman 1: Ihre "Hexensaat" ist der runderneute "Sturm"

Das wär fein: Margaret Atwood schreibt alle Werke Shakespeares neu.

Die Kanadierin huldigt dem Engländer, und gleichzeitig – "giftiger Pesthauch!" (es wird ordentlich geschimpft bei Shakespeare) – kommt sie mit einer Geschichte daher, als gebe es das 400 Jahre Alte nicht.

Das ist ihre wahre Meisterleistung in " Hexensaat".

Atwood hat "Der Sturm" runderneuert. Das Vergnügen, das die heute 77-Jährige dabei verspürt hat, merkt man.

Prospero, "der zauberhafte alte Arsch", ist kein Herzog mehr, der aus Mailand vertrieben wird.

Sondern ein kanadischer Regisseur, Felix heißt er, exzentrischer Leiter eines großen Theaterfestivals beim Ontariosee ist er (noch).

Felix will dieses Jahr "Der Sturm" inszenieren und den Prospero selber spielen. Dann hätte er trauern können und wäre wenigstens auf der Bühne seinem Töchterchen Miranda begegnet, sie als etwa 15-Jährige.

Seine "richtige" Tochter Miranda starb an Meningitis, als sie drei war. (Die Ehefrau war schon rasch nach Mirandas Geburt an Staphylokokken gestorben.)

Aber sein engster Mitarbeiter, der Tony – fast der Shakespeare’sche Antonio – intrigiert und sorgt dafür, dass Felix gefeuert wird.

Exil

Nun sitzt er in einer schäbigen Hütte und stellt sich vor, wie er mit Miranda Schach spielt und ihr beim Wachsen zusieht ...

Die Insel, die ihm dann das Weiterleben ermöglicht, auch das künstlerische, ist eine Strafvollzugsanstalt: ein Gefängnis, in dem die Häftlinge Theater spielen dürfen.

Er übernimmt einen Kurs, nennt sich Mister Duke, damit niemand erfährt, dass er einmal "wer" war, und hat großen Erfolg damit, dass bei seiner neuen Truppe die "Hexensaat" nicht aufgeht.

Damit ist gemeint:

das Nicht-Lesenkönnen, das Nicht-Schreibenkönnen.

Tadsch Mahal

Einbrecher, Betrüger, Totschläger lernen. Atwoods Leser lernen ebenfalls. Sie lernen Shakespeare zu verstehen und lernen ihn, sollte es bisher nicht in seine Richtung gegangen sein, zu schätzen.

"Macbeth" wird aufgeführt, "Richard III." ... und jetzt ist "Der Sturm" fällig, das Tadsch Mahal für Felix. Für die Rolle der Miranda wird eine gelernte Schauspielerin ins Gefängnis geholt.

Rache

Für alles kommt die Zeit. Die Zeit der Saat, die Zeit zum Beten, die Zeit für den Dank, dass es nun so weit ist mit der Rache, zwölf Jahre nach dem Rauswurf.

Tony ist inzwischen vom neuen Festivalchef in die Politik hinaufgegangen, und er wird zu der Aufführung ins Gefängnis kommen, nicht ahnend, wem er dort begegnen wird, und Ariel und die Trolle werden Felix helfen.

Das Theater als Werkzeug der Rache, auch der Vergebung, immer der Illusion, der Verführung.

Für einen klugen Spaß hat sich Margaret Atwood mit William Shakespeare sozusagen auf ein Packl g’schmissen. Zusammen sind sie, Pardon, um die 500 Jahre alt, und das hat eine würzige Frische.


Margaret Atwood:
Hexensaat
Übersetzt von Brigitte Heinrich.
Knaus Verlag. 320 Seiten. 20,60 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

Margaret Atwood, Roman 2: Alle Menschen im Gefängnis

Die Welt hinkt Margaret Atwood zumindest ein halbes Jahrhundert hinterher, und das ist gut so. Denn man muss ja dankbar sein für ein bisschen Aufschub.
Atwood muss für ihre Nahzukunfts-Romane die Gegenwart nämlich nur ganz sanft mit dem Finger anstoßen. Sie lässt die eh schon superknirschende Gesellschaft halt zerbröseln, die Menschlichkeit gleich mit, und was übrig bleibt, ist ein moralbefreiter Kapitalismusalptraum: Brutal leben die Menschen miteinander, verkaufen Sex und Seele, die Reichen sind Götter, die Armen Hunde. Religion ist Sekte, die Wissenschaft rührt ungehemmt in der Existenz allen Lebens herum und schafft Schafe, deren Fell aus echten Menschenhaaren besteht.
Für Perücken.
Das ist leider realistischer, als uns lieb sein kann, und guter Stoff für viele Bücher. Nach dem Trilogie-Finale „Die Geschichte von Zeb“ besucht Atwood nun erneut eine derartige Welt. Die ist hin, das Normalo-Paar Stan und Charmaine lebt, wie alle durch den Kollaps der Wirtschaft ruiniert, im Auto.
Und sucht dann im Positron Project neue Sicherheit: Dort soll eine neue Gesellschaftsform den einfachen Menschen wieder ein geregeltes Leben und den reichen Besitzern ein paar Milliarden mehr bringen.
Der Schmäh (und über den hört man die Autorin förmlich lachen): Die Hälfte der Menschen sitzt immer im Gefängnis, das Projekt kriegt dafür Geld. Die anderen sind die Wächter, nach wenigen Wochen tauschen die Gruppen. Das kann nur bitterböse schiefgehen. Am Schluss weiß man, wofür die Gefangenen kleine Stoffteddys basteln. Man hätte es lieber nicht gewusst. (von georg leyrer)


Margaret Atwood:
„Das Herz kommt zuletzt“
Übersetzt von Monika Baark.
Berlin Verlag. 400 Seiten. 22,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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