Neuer Roman von John Wray: Gott, die Angst und die Taliban

Neuer Roman von John Wray: Gott, die Angst und die Taliban
Erinnerung an den Fall John Walker Lindh: Im Buch geht eine junge Amerikanerin über die Grenze.

„Zu wenig Geschichte“, so hatte ein Juror beim Bachmann-Preis 2017  den Text von John Wray (Foto) kritisiert.
Wray ist Amerikaner und Österreicher – der Vater ist Arzt in den USA, die Mutter ist Ärztin und stammt aus Kärnten. Wenn er Verwandte besucht, empfindet er Österreich   als Ort der Kreativität.
Sehr viel Geschichte hat sein neuer (fünfter) Roman „Gotteskind“. Eine junge Frau aus dem ländlichen Kalifornien wird erwachsen.
Sie rauscht nicht nach L.A.  ab.
Sie reist nach Pakistan,  zu einer Islamschule (Madrasa). Aden Sawyer heißt die Frau. Sie lernt den Koran auswendig ... und geht blind über die Grenze nach Afghanistan in ein Lager der Taliban.

20 Jahre

Geplant war eine Reportage über John Walker Lindh. Wray fuhr nach Kabul und in die Berge und fragte, ob sich jemand an Lindh erinnert.
Lindh war der „amerikanische Taliban“. Ein Schüler, der die Botschaften  muslimischer US-Rapper sehr ernst nahm und im Jemen und in Pakistan Arabisch studierte, wo er radikalisiert   – und von CIA-Agenten 2001 gefangen genommen wurde. Er war 20. In den USA drohten drei Mal Lebenslang plus 90 Jahre. Man einigte sich auf 20 Jahre. Lindh ist noch eingesperrt.
Wray fand einen Afghanen: Klar  erinnere er  sich an den seltsamen Amerikaner  ... und an das Mädchen.
Welches Mädchen?
Wahrscheinlich gab es  keines. Aber für den Schriftsteller war nun klar: Einen Roman muss er schreiben, keine Reportage über Lindh, sondern Fiktives über eine 18-Jährige ... um so der Wahrheit näher zu kommen.
Aden  Sawyers Vater ist zwar Uni-Professor für Islamwissenschaft, aber er glaubt nicht an Religion. Er glaubt an nichts. Niemand in Amerika glaubt an etwas. Das glaubt die Tochter.
Sie nennt sich Suleyman, schneidet ihr Haar ab, bindet mit einem Tuch die Brust zurück, wird Mann (wie Yentl). Ihr Lehrer in Pakistan ist weise und warnt: Gott sei ein Gott der Gnade. Der Dschihad mit Kalaschnikows sei unnütz, „für uns und für Gott.“
Aber sein Sohn holt Suleyman zu den Taliban. Sie übt, Landminen zu legen. Wieso wird, 11. September 2001, Amerika angegriffen? Das war nicht ausgemacht.
Angst Wray hat keine einfachen, billigen Antworten.  Er vertieft Fragen. Es gibt eine Stelle, da sagt Aden Sawyer:
„Warum erschafft Gott manche Dinge leer und andere Dinge voll. Voll und vollkommen? So habe ich mich fast mein Leben lang gefühlt. Wie ein leeres Etwas.“
Deshalb sei sie hier.
Der Lehrer widerspricht: Nicht Tapferkeit habe sie hergeführt, nicht Übermut oder Bedeutsamkeit.
Sondern Angst.
Es ist „die Angst, die Menschen antreibt. Vor allem zu dummen Taten.“
Angst, so zu sein wie „die anderen“. Nichts zu sein.
 „Gotteskind“ fängt als Abenteuergeschichte an, dann wird der Roman „voller“. Er hat Charaktere – und Charakter. Er hat Landschaftsbeschreibungen und gute Gespräche. Er wirkt nach. Es ist also die Angst ..


John Wray:
„Gotteskind“
Übersetzt von Bernhard
Robben. Rowohlt Verlag.
368 Seiten.
23,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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