
© Lipus Marko
Neuer Roman von Florjan Lipuš: Was war, ist nie zu Ende
"Schotter" ist ein Besuch im Konzentrationslager - vermutlich nach Ravensbrück, wo seine Mutter ermordet wurde.
In jedem Krieg steckt der Keim eines neuen Krieges. Einer greift in den anderen. Auf den ersten folgt der zweite, und es liegt schon der dritte in den Windeln ... ein dritter Krieg?
So diagnostiziert Florjan Lipuš im aktuellen Roman.
Zwischen den Kriegen müsse nur immer eine Pause sein, um frisches Kanonenfutter heranzuziehen.
Misstrauen
„Schotter“ heißt sein Buch bzw. sein Schrei. Der Kärntner Autor, der in seiner Muttersprache Slowenisch schreibt, ist 81. Ende 2018 wurde er mit dem Großen Staatspreis ausgezeichnet.
Diesmal folgt er „Ausflüglern“ bzw. „Gedächtnisgehern“ ins KZ – nicht heute findet der Besuch statt, sondern vielleicht zehn, vielleicht 20 Jahre nach dem letzten (dem zweiten) Krieg.
Jedenfalls sind diejenigen, die nicht mitgegangen, sondern im Dorf geblieben sind, misstrauisch. Man könnte in ihnen „Schuldige“ sehen, die Kärntner Slowenen vertrieben haben.
Vermutlich führt Lipuš’ Reise in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück (Brandenburg). Dort wurde seine Mutter am 3. Februar 1945 in der Gaskammer ermordet. Sie hatte Partisanen bewirtet. Aber das waren gar keine Partisanen, sondern verkleidete Gestapo-Männer. Maria Lipuš wurde weggebracht, während ihr Mann (der Vater) in der Wehrmacht „dienen“ musste. Florjan war damals sechs.
Jetzt kann am Ort des Grauens der schwarze Schotter zwischen den Baracken besichtigt werden. Appellplatz. Hinrichtungsmauer.
Zwei Kinder, die mitgegangen sind, überlegen: Wenn ihnen die Großmutter erscheinen sollte – sollen sie du zu ihr sagen? Sie siezen?
Es gibt nichts Körperliches mehr. Ist es Einbildung, dass man Rauch riecht, wo Menschen verbrannt wurden, die erschossen, erschlagen, vergast wurden.
Florjan Lipuš bettet den Schrecken in gewohnt lyrische Sätze. Das hebt den Kontrast, wenn er vom Totpeitschen, vom Gas und vom Genickschuss schreibt.
Sein Sohn Marko Lipuš wählte einen anderen Weg gegen die Vergänglichkeit, er fotografierte im KZ und hat danach die Bilder verändert, zerkratzt – wie es so seine Art ist, um die Narben der Welt festzuhalten.
Oder er machte sie heller, fast weiß, damit man gezwungen ist, genau zu schauen. Sonst schaut man weg. Sein Buch „Babica“ ist im Residenz Verlag erschienen.
Ob Florjan Lipuš Sprach- oder Marko Lipuš Fotokunst: Es ist immer ein Erinnernwollen und ein Vergessenmüssen (nur manches) ... und „nichts Gewesenes ist beendet, nichts Zukünftiges hat begonnen“ (F.L.).
FOTO OBEN: Florjan Lipuš, wie ihn sein Sohn Marko, Fotokünstler in Wien, sieht
Florjan Lipuš:
„Schotter“
Übersetzt von
Johann Strutz.
Verlag Jung und Jung.
144 Seiten.
20 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
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