Wie hätte man Jacques Brel böse sein können?
Es gibt wenige Menschen, bei denen vier Buchstaben genug sind, und schon sieht man sie und hört ihre Stimme, ihre Lieder. Zumindest bei den Älteren funktioniert das noch.
Bei der Piaf ist es möglich. Und bei Brel, der in den bloß 15 Jahren, in denen er auf den Bühnen von Paris bis New York schrie, boxte, bellte, explodierte, nie eine Zugabe gab. Nie Hände schüttelte. Nie zum Schein lachte.
Der Belgier verweigerte sich den Ritualen des Showgeschäfts.
Während Trenet, Brassens, Ferré verblassen, bleibt sein Stern eine feste Größe. Man konnte das Gesamtwerk auf 21 CDs pressen und 35 Jahre nach seinem Tod – er starb 1978 – anbieten, denn Jacques Brel bzw. verkauft sich noch immer gut
Die Frage, warum man ihm nicht böse war, nicht böse sein konnte, sie wird man sich beim Lesen oft stellen: "Brel – Der Mann, der eine Insel war" ist die kürzlich erschienene erste Biografie eines deutschsprachigen Autors: Der 53-jährige Musikwissenschaftler Jens Rosteck hat schon den Komponisten Hans Werner Henze porträtiert und die Piaf.
Ruhelos
Er schaut sich einzelne Chansons aus dem Brel-Universum genau an (und entdeckt etwa die Angst, dass das Parfum der Blumen langsam nachlässt, und über die Unveränderlichkeit von Zärtlichkeit erfährt er einiges...).
Jens Rostecks Verehrung ist dabei zu spüren.
Und er knöpft sich die Ichbezogenheit des Sängers vor, der die Menschen vor den Kopf stieß, die von ihm zu Recht Verantwortung einforderten. Rostecks – sagen wir: Verwunderung über dieses ewige, ruhelose Kind ist zu spüren.
Bösesein geht ja nicht.
Brel beleidigte sein Publikum. Erwachsene seien lächerlich, sang er. Sein Spott war erbarmungslos. Es ging so weit, dass er alle Bürgerlichen zu Schweinen werden ließ. Der Applaus war trotzdem euphorisch.
Frauen stellte er als Hindernisse dar. Sie kamen immer schlechter weg als Männer. Männerfreundschaften (wie seine mit Schauspieler Lino Ventura) seien viel mehr wert als Beziehungen zu Frauen.
Obwohl: Brel war verheiratet, wollte sich niemals scheiden lassen und hatte mitunter vier Geliebte gleichzeitig nebenbei. Seine drei Töchter empfand er als Ballast. Als auch die Letzte von ihnen den Kontakt abbrach, soll er sich frei gefühlt haben.
Er hat ja immer schon gewusst, Männer seien als Väter ungeeignet ...
Kompatibel
Don Quichotte stand ihm nahe. Der Kettenraucher träumte den (für Kettenraucher sowieso) unmöglichen Traum. Da muss man ihm verzeihen.
Brel suchte immerhin, auch wenn er irrte.
Brel versuchte immerhin etwas zu sehen, von dem die meisten gar nicht ahnen, dass es etwas zu sehen geben könnte.
Isolation musste die letzte Konsequenz sein. Die Südseeinsel Hiva Oa verließ er nur, um den Lungen krebs behandeln zu lassen. Mit den Insel-Nonnen hat er sich angefreundet. Als Pilot seines Flugzeugs holte er die Post von den Nachbarinseln. Er war also doch ... kompatibel.
Chansons hörte er sich nicht an, immer nur klassische Musik.
Jens Rosteck:
„Brel – Der Mann, der eine Insel war“
Mare Verlag.
240 Seiten.
24,70 Euro.
Kommentare