Nahost: Kunstkonfrontation im Niemandsland
Diese Kunst hätte selbst in Wien, am Stammtisch, ordentliche Sprengkraft: Der Schweizer Christian Philipp Müller lässt in seiner Installation "Launch Vehicles" Minarette wie Raketen aussehen.
Derzeit steht das provokante Werk über die Religionskonflikte von Heute aber an einem Ort, wo seine Wirkung noch ungleich größer ist: in Jerusalem. In jener Stadt also, in der sich die "tektonischen Platten der Weltgeschichte" ineinander schieben, wie der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny jüngst während eines Besuches sagte.
An der Naht
Gezeigt werden die "Launch Vehicles" vom "Museum On The Seam", übersetzt: "Museum an der Naht". Der Name ist Programm: Das hoch spannende Haus liegt im ehemaligen Niemandsland zwischen Ost- und West-Jerusalem, wo ultraorthodoxe Juden und Palästinenser aufeinander treffen.
Schwere Metallplatten hängen vor den Fenstern des einstigen Bunkers, und ja, aus diesen wurde einst geschossen, sagt Museumsgründer Raphie Etgar zum KURIER. Er hat daraus eine Kunsthalle gemacht. Und zeigt darin hoch politische Kunst, durchaus mit dem Ziel der Konfrontation. "Denn vielleicht ist Kunst der Ort, an dem der entscheidende Dialog begonnen werden kann", sagt Etgar.
Einschusslöcher säumen die Fassade des Museums, Balkonteile sind weggesprengt. Dennoch: Das Haus trägt eine Botschaft, die hoffnungsvoller nicht sein könnte. "Olivenbäume werden unsere Grenzen sein", schrieb der Künstler Dani Karavan dreisprachig in Leuchtschrift an die Fassade. Und dieser Schriftzug soll so lange stehen, bis seine Vision verwirklicht ist.
Derzeit aber sind es keine Olivenbäume, die Israel vom Westjordanland trennen. Sondern eine meterhohe Mauer, deren mäandernder Verlauf die überwältigende Komplexität des Konflikts nachzeichnet.
Die andere Seite
Wenige Autominuten vom Museum On The Seam, auf der anderen Seite: Ramallah, kulturelles Zentrum der Palästinenser. An der Spitze: eine patente, selbstbewusste Frau. "Wir fördern die Gleichbehandlung von Männern", kichert die 2005 als erste Frau auf diesen Posten gewählte Bürgermeisterin Janet Michael, und ihre Kulturstadträtin Fatin Farhat lacht mit.
150 NGOs haben ihren Sitz in Ramallah, sagt Michael. Wie überall in dem Konflikt fließen Gelder. Über manche NGOs auch in die Kultur.
Auch internationale Stiftungen widmen sich der Kultur in Ramallah - und peppen die geringe öffentliche Projekt-Subvention auf. Wie etwa die Barenboim-Said-Stiftung, die in Ramallah ein Musikzentrum für junge Palästinenser betreibt. Auch hier will man "einen kulturellen Dialog starten, der schmerzhaft abgeht", sagt Zentrumsleiter Nabeel Abboud Ashkar.
Doch selbst so manche derer, die ihr Instrument im Musikzentrum gut genug lernen, um in das renommierte West-Eastern Divan Orchester aufgenommen zu werden, "wollen dann nicht mit Israelis spielen. Das passiert." Daher will die Stiftung nun palästinensische Nachwuchsmusiker früh mit Kollegen aus ganz Israel zusammen bringen. Nabeel Abboud Ashkar ist überzeugt: Der Durchbruch in der Region "wird auf individueller Ebene passieren".
Dennoch: Kultur-Projekte enden so gut wie immer an der Sperranlage, sagt Kulturstadträtin Farhat. Wo der kulturelle Dialog zwischen Israelis und Palästinensern gefördert werden soll, entstünden lediglich "Feel Good-Projekte". Denn die Palästinenser sehen sich nicht als gleichwertige Gesprächspartner anerkannt: "Wir wollen für unsere Identität wahrgenommen werden - nicht nur, wenn wir gemeinsame Projekte mit den Israelis machen."
Zukunft
Dabei kämpfen beide Seiten, bei allen Unterschieden in der Situation, in der Kultur mit teils ähnlichen Problemen - nicht zuletzt im Umgang mit der Jugend. "In Ramallah gibt es gute Ausbildungsmöglichkeiten. Doch wer fertig studiert hat, hat nur wenige Chancen", sagt Farhat.
Eine Aussage, die Eyal Sher auf der anderen Seite der Sperranlage fast wortwörtlich wiederholt - doch der Direktor für Kunst und Kultur der Jerusalem Foundation spricht dabei über junge Menschen in Jerusalem. Auch hier gilt: Viele Uni-Absolventen verlassen die Stadt, gehen ins problemlosere, jüngere Tel Aviv.
Dem soll gegengesteuert werden: Ein neues Festival wurde gegründet. Und in einem ehemaligen Lepra-Krankenhaus ist ein Medienkunst-Zentrum geplant, das sich an der Linzer Ars Electronica orientiert. Die Kreativindustrie ist Hoffnungsbranche für Jerusalem.
Auch im Gaza-Streifen, dem abgesperrten Palästinenser-Gebiet an der Grenze zu Ägypten, gibt es (relativ) viel Medienkunst - wenn auch aus anderem Grund: diese ist für die dortigen Künstler, die so gut wie nicht reisen können, leichter in die Welt hinauszuschicken.
Aber so einig sich viele der Befragten auch sind, dass kultureller Dialog wichtig ist: Dass ausgerechnet die Mitgliedschaft der Palästinenser in der Kulturorganisation UNESCO zuletzt für Konflikte sorgte, ist kein gutes Omen. Und macht klar: Die Leuchtschrift am Museum On The Seam wird wohl noch eine Weile stehen bleiben müssen.
Kollek-Lehrstuhl: Forschung im Geiste Teddy Kolleks
Die Erforschung der kulturellen Verbindungen von Jerusalem und Wien ist die Aufgabe des neuen Teddy Kollek-Lehrstuhls an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Die Einweihung der nach dem legendären, aus Wien stammenden Bürgermeister Kollek (1911-2007) benannten Forschungsstelle geriet zum hochemotionalen Moment: "Etwas in meinem Leben wird heute gelindert - und neu aufgeladen mit Hoffnung", sagte der erste Inhaber des Lehrstuhles, Israel Yuval mit tränenerstickter Stimme.
Denn seine Mutter, die als 16-Jährige vor den Nazis aus Wien flüchten musste, habe in ihrem Leben zwei Sachen tief bedauert: den Verlust ihrer Familie und die Chance auf eine höhere Ausbildung. Es sei wunderbar für ihn, dass er nun als Professor diesen u.a. von der Stadt Wien, dem Außen- und dem Wissenschaftsministerium sowie durch Sponsoren gewidmeten Lehrstuhl innehat. Auch dem früheren Wiener Bürgermeister Helmut Zilk wird im Rahmen des Lehrstuhles Aufmerksamkeit gewidmet.
"Es gibt noch viel zu tun", sagte Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. Er wolle sich dafür einsetzen, dass in Österreich Angehörige von Holocaust-Opfern "ohne Schwierigkeiten" die Staatsbürgerschaft erlangen können. "Österreich ist ihnen das schuldig", so Mailath.
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