Nach dem Tiger wird der Schimpanse zu Gott
Religion ist eine gute Geschichte.
Das war so in "Schiffbruch mit Tiger" (= Life of Pi, 2001), dem preisgekrönten Weltbestseller, von dem – auch dank Verfilmung und vier Oscars– 13 Millionen Exemplare verkauft wurden.
Das ist auch in "Die Hohen Berge Portugals" so, dem neuen Roman des Kanadiers Yann Martel, der zunächst als Tellerwäscher und Nachtwächter keine große Zukunft vor sich hatte.
Freilich kann man den 53-Jährigen heute als eine Mischung aus Paulo Coelho und dem Naturfilmer David Attenborough sehen.
Wobei bemerkenswert ist, dass sich Coelho offensichtlich von seinen Kalendersprücherln verabschiedet – im November erscheint "Die Spionin" über Mata Hari.
Yann Martel bleibt seinem Thema treu, allerdings etwas weniger aufdringlich und viel weniger plump.
Drei Teile
Als sich die einzigen Überlebenden eines Schiffsunglücks – ein indischer Bub namens Pi und ein Königstiger namens Richard Parker – gewissermaßen zusammenraufen mussten, da wollte uns der Autor etwas übers Gottvertrauen im Allgemeinen mitteilen.
(Angesichts eines Tigers kann man demnach getrost Hindu, Christ und Muslim zugleich sein.)
Falls man den religiösen Aspekt wahrnehmen wollte. Denn als bloßes Abenteuer funktionierte dieser "Schiffbruch" auch recht gut.
Im aktuellen Buch wollte Martell "nachschauen, welche Werkzeuge wir haben, um mit Schmerz und Leid umzugehen."
"Die Hohen Berge Portugals" sind ein Dreiteiler mit lockerer Verbindung.
Erzählung Nr. 1: Um 1900 verliert ein Mann seine Gefährtin, seinen Sohn, seine Mutter, seinen Vater ... aus Protest geht er fortan rückwärts und wird Atheist.
Zitat: "Wir sind emporgestiegene Affen, keine gefallenen Engel."
Erzählung Nr, 2: Um 1940 diskutiert ein Pathologe die Zusammenhänge zwischen Agatha Christie und den Evangelien. Die Leiche eines sehr alten Mannes wird ihm gebracht, er soll sie öffnen, um zu begutachten, was für ein Mensch der Tote war.
Was der Pathologe innen sieht, macht einen Agnostiker aus ihm. Gibt es Gott? Er weiß es nicht.
Erzählung Nr. 3 ist die beste, zarteste, interessanteste: Ein kanadischer Politiker kauft nach dem Tod seiner Ehefrau der Forschung einen Schimpansen ab und wird mit dem Tier in einem portugiesischen Bergdorf sehr glücklich.
Er wird mit Gott glücklich.
Denn Schimpansen sind bei Yann Martel (Bild unten) Symbol für Jesus. Einer hängt am Kreuz.
"Wenn die Idee des Christentums ist, dass Gott menschlich wurde, und wenn Menschen den Tieren nahe sind, dann ist Gott in diesem Sinn auch Tier geworden."
Martel ahnt, dass er sich für diesen Satz vor 100 Jahren ziemliche Schwierigkeiten eingehandelt hätte. Jetzt gibt's keine Probleme?
Yann Martel:
„Die Hohen Berge Portugals“
Übersetzt von Manfred Allié.
Verlag S. Fischer.
416 Seiten.
23,70 Euro.
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