Stilfrage
Dass sich das ändert, dafür werden im Musikverein Strukturen aufgebaut – und neue Angebote. So ging man eine Partnerschaft mit „Cape 10“ ein, einem von Siegfried Meryn gegründeten sozialen Projekt in Wien-Favoriten. „Die gemeinsame Initiative trägt den Titel ,The Power of Music’ und bietet 400 Kindern und Jugendlichen pro Saison die Möglichkeit kostenloser Konzertbesuche“, sagt Pauly. Auch die Kinder-, Jugend- und Familienangebote sollen ausgebaut werden: „Wir haben hier pro Jahr über 50.000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Wir weiten einige Serien nächste Saison noch aus, weil die Nachfrage so hoch ist“, sagt Pauly. Und: „Es gibt keinen Dresscode im Musikverein. Jeder ist willkommen, so zu kommen, wie er sich wohlfühlt und wie er oder sie es für angemessen hält.“
Macht man das, weil das bisherige Publikum weniger wird – oder, dem Vorurteil entsprechend –, nicht mehr das jüngste ist? Nein, sagt Pauly. „Wenn man aufmerksam und auch nicht pro domo, sondern einfach nüchtern in die Säle schaut, dann ist diese Überalterung wirklich ein Klischee.“
Und auch der Pandemie-Knick wurde fast überwunden: „Wir haben jetzt vermehrt in deutlich höherer Anzahl als noch vor einem Jahr ausverkaufte Konzerte.“
Die Lage der Orchester
Damit ist der Musikverein – und die Musikstadt Wien insgesamt – in einer Ausnahmesituation. Denn international ist das Genre der Orchester- und der Klassikmusik finanziell schwer angeschlagen. Merkt man auch im Programm der kommenden Saisonen, dass etwa US-Orchester weniger Geld haben? „Das, was Sie beschreiben, höre ich auch“, sagt Pauly. „Allerdings schlägt sich das im Programm des Musikvereins nicht nieder. Cleveland kommt wieder. Boston kommt wieder, um nur zwei Orchester aus den USA zu nennen. Wir nehmen die Planungen für ’26/’27 auf – und auch da zeichnen sich keine negativen Effekte ab.“
Wie gestaltet man aber ein Konzertprogramm, das sowohl das traditionelle Publikum zufriedenstellen – als auch neues abholen soll? „Zentral ist, dass wir die große Tradition dieses Hauses mit großer Leidenschaft pflegen“, sagt Pauly. „Und wir wollen mit einladenden Gesten neugierig macht auf rote Fäden im Programm, die es zu entdecken gibt – ungewöhnliche Programmsituationen, Stücke, die neu sind oder sehr selten gespielt werden. Die Herausforderung ist, beides in guter Balance zu halten.“
Getrocknete Blumen
Und auch die Tradition anders zu erzählen. Etwa über ein Album mit getrockneten Blumen. Das schenkte Clara Schumann Johannes Brahms, als Robert Schumann bereits in der psychiatrischen Anstalt war. „In dieser Situation ist der junge Brahms für Clara Schumann ein ganz entscheidender Mensch geworden“, sagt Pauly. Und sie schenkt ihm „als intime Botschaft, die aber doch die Form wahrt, ein Album mit selbst gepressten Blumensträußen. Das gehört zu den fantastischsten Objekten, die wir in unserer Sammlung haben.“ Und es gibt dem Musikverein Festival (10. März bis 12. April 2025) das Thema vor: Unter dem Motto „Claras Blumenalbum“ stehen bei den Konzerten Beziehungsfragen im Zentrum.
Johann Strauß und Anton Zeilinger
Man feiert in der kommenden Saison das Johann-Strauß-Jubiläum mit – denn „es gab engste Verbindungen zwischen ihm und der Gesellschaft der Musikfreunde“, sagt Pauly. „Die Gesellschaft war sogar Erbe von Strauß, sie erhielt Liegenschaften, durch die Leibrenten finanziert wurden“. Nobelpreisträger Anton Zeilinger gestaltet eine eigene Reihe.
Und natürlich gibt es hochkarätige Residenzen und Gastspiele, denn „Tradition bedeutet auch, dass wir weiterhin ein Zuhause sein wollen für die vielen Top-Künstlerinnen und -Künstler, die sich hier beheimatet fühlen. Und natürlich für so viele Menschen in dieser Stadt.“
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