"Ich will mich nicht verführen lassen"

epa03520094 The singer Campino of the German band "Die Toten Hosen" on stage during their concert at the Max-Schmeling-Halle in Berlin, Germany on 29 December 2012. The group, whose tour called 'The noise of the Republic' will perform dates in Germany, Austria and Switzerland. EPA/BRITTA PEDERSEN EDITORIAL USE ONLY/NO SALES
Die Toten Hosen sind der finale Headliner des heurigen Frequency-Festivals in St. Pölten.

Am 17.8. kommen Die Toten Hosen noch einmal live nach Österreich, rocken als Headliner des Finaltages des FM4-Frequency-Festivals den Green Park von St. Pölten. Im KURIER-Interview erzählt Sänger Campino, was ihn mit Österreich verbindet und nimmt zu den Trennungsgerüchten Stellung.

KURIER: Mit dem Amadeus in der Kategorie ,Best Live Act' in der Tasche kommen Sie nach euphorisch umjubelten Shows im Vorjahr noch einmal zum FM4-Frequency nach Österreich. Was bedeutet Ihnen das?
Campino: Dass wir nach all den Jahren noch einmal von so einer Erfolgswelle erfasst werden - zuhause, aber auch in Österreich - das freut uns ungemein. Wir haben uns immer als Live-Band verstanden. Dass wir den Amadeus für "Best Live Act" bekommen haben, ist eine Anerkennung, die wir den Fans zu verdanken haben.

Das haben Sie aber sicher auch sich selbst zu verdanken, weil Sie bei Ihren Konzerten 30 Jahre lang immer das hohe Energie-Level halten konnten. Es gibt nicht viele, die das können. Wie haben Sie das gemacht?
Ich glaube, dass die Fans daran einen großen Anteil haben, weil sie uns auch durch schwierige Zeiten tragen. Letztendlich wird bei uns der Konzertabend zur Hälfte vom Publikum bestritten. Wie alle da zusammen feiern und gemeinsam solche Momente zelebrieren - das ist das, was den Reiz des Abends ausmacht. Es geht ja bei uns weniger um die Hits, sondern eher darum, was für eine Stimmung herrscht. Das ist letztlich der Grund, warum die Leute sagen: Letztes Mal hat es Spaß gemacht, war lustig und hat eine Energie gehabt, das wollen wir uns nochmal geben. Deshalb kommen die Menschen wieder. Wir sind ja nicht zu vergleichen mit einer Band aus Übersee, die alle zehn Jahre einmal auftaucht und die man sehen will, weil man denkt, vielleicht kommt sie nie wieder.

Hosen-Konzerte sind wie eine ritualisierte Party . . .
Ein Konzert von uns besteht tatsächlich aus vielen Ritualen, aus vielen ungeschriebenen Gesetzen. Eines davon ist zum Beispiel, dass, egal wo du herkommst, egal wie alt du bist, wie auch immer du dich gibst, der Abend zusammen überstanden wird. Dass alle zusammen tanzen, vor der Bühne feiern und sich wieder hochziehen, wenn sie einmal hinfallen - man zieht den Abend zusammen durch. Auf der Bühne genauso wie vor der Bühne. Das läuft auf Augenhöhe ab. Es geht uns auch darum, an uns zu arbeiten. Du musst Abend für Abend - wie auch ein Theaterschauspieler - deine Rolle neu finden und immer wieder den Zugang zu diesem Moment finden, an dem du etwas aussendest. Es kann nicht sein, dass "Hier kommt Alex" so gespielt wird, als hätten wir das schon 1000 Mal gespielt, was wir natürlich getan haben. Aber wir müssen es raushauen, als wär's zum ersten Mal. Das ist eine Einstellung, die wir sehr ernst nehmen. Und wenn wir es nicht schaffen, ‚Alex‘ so zu spielen, dann müssen wir das Lied aus dem Programm nehmen.

"Ich will mich nicht verführen lassen"
epa03469794 Singer Campino of German band "Die Toten Hosen" performs during a concert in the Arena in Leipzig, Germany, 13 November 2012. EPA/JAN WOITAS
Sie gelten als Österreich-Fan, sind recht oft hier.
Ich bin immer wieder sehr gerne in Österreich, auch, weil ich Wien so mag. Traditionell komme ich zum Schifahren. Meine Eltern haben mir hier - auf der Gerlitzen in Kärnten - das Schifahren beigebracht, als ich fünf oder sechs Jahre alt war. Und es war für mich wirklich lustig, jetzt mit meinem Sohn im selben Hotel zu sein und ihm dort das Schifahren beizubringen.

Wie alt war Lenny da?
Ich glaube, ich habe ihn schon als Dreijährigen das erste Mal dahin gebracht. Ich konnte ihm das genau so vermitteln, wie meine Eltern es mir vermittelt haben. Das war sehr schön und wichtig für mich. Lenny ist dort denselben kleinen Hang runtergerutscht, wie ich. Die Gerlitzen ist ein kleines Schigebiet - klein, aber fein. Und sehr familiär, man kennt sich. Letztlich konnte ich da bei meinem Sohn sehr viel von dem wiedererkennen, was ich als Bub dort erlebt habe: Selbe Limo getrunken, selbes Essen, selber Lift.

Als Sie vorhin von der Erfolgswelle sprachen, haben Sie geklungen, als hätte Sie das total überrascht. Woran liegt das?
In dieser Heftigkeit hat uns das überrascht, weil wir nichts anders gemacht haben als sonst. Uns ging es ja nie schlecht. So wie ich das empfinde, waren wir ohnehin glücksverwöhnt. Dass wir da dann noch einmal ein Album hinlegen durften, das so eine Euphorie auslöst, uns die Chance gibt, vor vielen neuen Zuschauern zu spielen, ist toll.

Dass Sie mit "Tage wie diese" auf Ö3 gespielt wurden hat aber auch die Kritik gebracht, Sie seien "kommerziell" geworden.
Wir haben mit dieser Scheibe schon eine Art Rückbesinnung auf die Melodien vorgehabt. Das stand während der Aufnahmen im Studio im Raum: Lass uns wieder die alten Qualitäten ausspielen. Freunde von uns nannten uns damals nie "die Jungs von der Opel-Gang", sondern "die Jungs von der Vocal-Gang". Mit "Ballast der Republik" wollten wir wieder die Stimmen und das Lied in den Vordergrund rücken und weniger beweisen, wie hart wir sein können, ohne darauf zu schielen, wie das im Radio ankommt, einfach nur, weil wir wieder Lust auf Melodien hatten. Ich glaube, da sind zwei Dinge zusammengekommen: Erstens, dass wir uns um ein paar Prozentpunkte in diese Richtung gedreht haben. Zweitens, dass auch die Radios bereit sind, mehr zu riskieren, denn die harten Gitarren sind ja eigentlich schon mit Nirvana im Mainstream angekommen. So waren wir mit "Tage wie diese" in einer Position, die man sich niemals strategisch zurecht legen kann. Auch, dass das Lied dann von Fußball-Mannschaften aufgegriffen wurde - Borussia Dortmund hatte damit angefangen, das hat dann das ganze Land erfasst - das sind Zufälle, die kannst du nicht planen.

Ich hatte manchmal den Eindruck, dass Ihnen dieser Supererfolg gar nicht immer so recht war. Dass Sie sich in einem hoch-kommerziellen Umfeld wie zum Beispiel "Wetten, dass . . .?" nicht wohl gefühlt haben. Haben sich da Grenzen in Ihrer Positionierung verschoben?
Dieser Eindruck ist richtig: Solche Sendungen sind nicht unser Zuhause und werden es nie werden. Deshalb haben wir uns in diesem Jahr seit Veröffentlichung von "Ballast der Republik" eigentlich sehr zurückgenommen und zu 90 Prozent abgelehnt, was an Angeboten für TV-Sendungen und Interviews reinkam. Wir haben uns zusammengesetzt und gesagt, wir nehmen uns zwei, drei Sendungen, die wir machen, aber dafür lassen wir 20 Trash-Sendungen aus. Und "Wetten, dass . . .?" war deshalb interessant, weil es die erste Sendung mit Markus Lanz war, und keiner wusste, was passieren wird. Wir wollten auch zu Stefan Raab gehen, weil der immer loyal war. Viel mehr haben wir nicht gemacht. Obwohl - oder gerade weil - dieser Song in den Medien so heftig zelebriert wurde, haben wir versucht, nicht in Talk-Sendungen aufzutauchen. Aber der Song wurde halt so viel gespielt, dass wir sowieso eine starke Präsenz hatten.

Sie haben angedeutet, dass Sie nach dem Ende dieser Tournee eine längere Pause machen werden, woraufhin Gerüchte aufkamen, die Hosen würden sich auflösen. Können Sie das dementieren?
Ich habe auch noch gesagt, dass man nach so einer Pause nicht genau weiß, wie es weitergeht. Das haben viele als Andeutung gesehen, es war aber von mir gar nicht so bedeutungsschwanger gemeint. Man kann sich sicher sein, dass wir uns nie auflösen würden, ohne uns von unseren Fans zu verabschieden.

Also mit einer deklarierten Abschiedstour?
Ja, etwas anderes wäre unseren Fans gegenüber - auch denen in Südamerika - nicht fair. Die können zumindest erwarten, dass wir noch einmal auftauchen und gemeinsam zelebrieren, was wir all die Jahre geteilt haben. Wir würden uns nicht über Nacht aus dem Staub machen. Andererseits sind wir nicht mehr die Jüngsten, und es wird immer schwieriger, sich aufzuraffen und den eigenen Ansprüchen zu genügen. Das war bei dieser Platte schon schwierig. Es war extrem nervenaufreibend und wir haben uns wirklich sehr konzentrieren und zusammenreißen müssen, um es zu packen.

Was war so schwierig?
Wir haben unheimlich lange in der Luft gehangen und waren mit den Aufnahmen, die wir hatten, unzufrieden. Auch wenn dieser Riesenerfolg mit Leichtigkeit hingelegt erscheint, habe ich mir vorgenommen, nicht zu vergessen, dass es für uns immer schwieriger zu werden scheint, relevante Songs zu schreiben.

"Ich will mich nicht verführen lassen"
APA12560540 - 02052013 - WIEN - ÖSTERREICH: Die Preisträger Campino, 2.r. und die Toten Hosen im Rahmen der Verleihung der "Amadeus Austrian Music Awards" am Mittwoch, 1. Mai 2013, im Volkstheater in Wien. APA-FOTO: HANS PUNZ
Weil Sie schon viel geschrieben haben und Ihnen die Themen ausgehen?
Weil ich schon viel geschrieben habe und es immer wieder eine neue Herausforderung ist, das Leben aus der aktuellen Situation, in der man sich gerade befindet zu beobachten. Ich kann ja nicht Lieder aus der Sicht eines Mittzwanzigjährigen schreiben. Themen zu finden, die mich berühren, aber auch für andere noch relevant sind - da muss man sich immer wieder einen neuen Weg bahnen und das gelingt mal besser, mal schlechter. Dieses Mal ist es uns gut gelungen. Aber wer weiß, wie es das nächste Mal wird.

Und der sensationelle Erfolg hat nichts an dieser Einstellung geändert?
Natürlich kann man heute sagen, das war all die Mühen wert. Wenn diese Platte sehr schlecht angekommen wäre, würde ich vielleicht anders bilanzieren und sagen, diese zwei Jahre Stress, die ich mir da gemacht habe, stehen in keinem Verhältnis zu dem Erflog, das brauche und möchte ich nicht mehr. Aber die Sache ist ja anders gelaufen. Ich glaube nur, dass es trotzdem wichtig für mich selbst ist, nicht zu vergessen, wie schwierig es war. Dass ich mir nicht einbilde, wir können das mit Links machen und jederzeit nochmal. Ich will mich nicht von diesem süßen Geschmack, den es zurzeit hat, verführen lassen.

Ich kenne Sie als sehr loyal und gewissenhaft. Welche Rolle spielt die Tatsache, dass sehr viele Jobs an dem hängen, was Sie tun, bei den Überlegungen über die Zukunft der Band?
Das wäre in dem Moment eine Überlegung, in dem ich mich vom Acker machen wollte. Wenn ich alles hinschmeißen wollte, sagen, was soll's, zum Auto rennen und losfahren, um nie wieder zu kommen. Spätestens dann würde diese Klingel angehen, die sagt, da drüben im Büro sitzen 15 Leute, die sind teilweise über Jahrzehnte mit dir zusammen gewesen. Du musst denen zumindest die Möglichkeit geben, sich auf diesen Wandel einzustellen. Das kann nicht über Nacht gehen. Wenn ich das nicht im Kopf hätte, wäre ich ein sehr egoistischer Hund. Aber nur um diesen Leuten einen Arbeitsplatz zu garantieren, können wir die Ehrlichkeit uns selbst gegenüber nicht aufgeben um nur unser erarbeitetes Feld weiter zu verwalten und irgendwie weiter herum zu wurschteln. Über allem steht, dass wir das noch meinen, was wir da machen und es nicht nur fortführen, weil es ein sicherer Arbeitsplatz ist.

Sie sind zu Beginn der Karriere sehr rüpelhaft und gewissenlos aufgetreten. Wann kam der Wandel zu einer politisch und sozial interessierten, gewissenhaften Haltung?
Das ist in mehreren Schritten geschehen. Gestartet sind wir mit der Prämisse, kein Klischee bedienen zu wollen. Ich war vor den Hosen in dieser Band namens ZK, eine Fun-Punk-Band. Ich fand es extrem schwierig, jeden Tag gut gelaunt auf die Bühne zu gehen. Also war später klar, wenn die Toten Hosen rausgehen, geben sie sich so wie sie sind: Wenn wir traurig sind, sind wir traurig, wenn wir wütend sind, sind wir wütend und wenn wir albern wollen, tun wir das. Wir bedienten keine Klischees. Auch nicht innerhalb der Punk-Szene. Deshalb keine Lederjacken, sondern nur selbst gekauftes Zeug aus Klamotten-Läden.

Sie waren damals ja immer sehr bunt gekleidet . . .
So wollten wir uns auch innerhalb der Punk-Szene abgrenzen. Als dann die politische Front zerbröckelt ist, wurde uns klar: Wir wollen die linke Alternative der harten Rock-Musik sein. Vor allem als die Rechts-Rock-Musik aufgekommen ist, war das entscheidend. Ansonsten haben wir sehr lange versucht, mit unserer Naivität diesen Spruch aufrechtzuerhalten: "Die Toten Hosen: Betreten auf eigene Gefahr, ihr seid für euch selbst verantwortlich, wir garantieren für nichts!" Aber der ist uns spätestens bei unserem 1000. Konzert im Hals stecken geblieben, als ein Mädchen zu Tode kam. Das hat eine Lawine an Gedanken ausgelöst: Warum machen wir das eigentlich? Geht es nur darum, immer mehr Zuschauer und mehr Erfolg zu haben, oder stehen dahinter auch noch andere Dinge? Da habe ich verstanden, dass es eine Verantwortung den Leuten gegenüber gibt, wenn die kommen und sich vertrauensvoll in unsere Hände begeben. Es gibt eine Verantwortung unserer Sache gegenüber. Das hat dann zu einer Ernsthaftigkeit geführt, die vielleicht manchmal auch den Charme von uns genommen hat. Vielleicht sind wir dadurch ein Stück langweiliger geworden, das kann ich nicht beurteilen. Aber das hat Konsequenzen gehabt und war sehr prägend für die Verfassung, in der wir heute sind.

Stimmt es, dass Sie nach dieser Tour an zwei Filmprojekten arbeiten werden?
Es gibt immer wieder Angebote. Aber gerade im vergangenen Jahr war klar, dass wir uns nur auf diese Platte konzentrieren wollten und es keine Spielereien gab. Im Oktober kann das natürlich wieder anders sein. Es gibt ein konkretes Projekt, bei dem ich gerne an Bord wäre, aber solange nichts unterschrieben ist, kann ich nichts dazu sagen.

Wie schon seit vier Jahren findet das heurige FM4-Frequency Festival wieder auf dem Green-Park-Gelände beim VAZ in St. Pölten statt. Neben den Spitzen-Acts der Alternative-Szene sind heuer aber auch viele Stars für Freunde härter Kost mit dabei. Denn bei System Of A Down, Skunk Anansie, Billy Talent und den Toten Hosen werden fraglos die lauten, kompromisslosen Gitarren dominieren.

Dazu kommen Highlights wie James Blake, Franz Ferdinan und Nick Cave, der mit seinen Bad Seeds am Samstag um 23.30 Uhr auf der Green Stage auftritt. Und natürlich das Österreich-Debüt von Tenacious D, dem Comedy-Rock-Duo von Jack Black .

Hier die wichtigsten Acts im Überblick.

DONNERSTAG, 15. 8.

Space Stage: Laura Mvula, Archive, Of Monsters And Men, Regina Spektor, Empire Of The Sun, Franz Ferdinand, Tenacious D.

Green Stage:Tom Odell, Blumentopf, Shout Out Louds, The Fratellis, 3 Feet Smaller, Kraftklub, Flogging Molly.

UK Weekender Stage: Deep Vally, Velojet.

FREITAG, 16. 8.

Space Stage:Imagine Dragons, Awolnation, Fall Out Boy, Casper, Bad Religion, System Of A Down.

Green Stage: Sizarr, Miles Kane, Madsen, Crystal Castles, Left Boy, Nero.

UK Weekender Stage: Junip, Josh Kumra, Kensington, Francis Int. Airport.

UAF-Floor: Major Lazer, Chase & Status (DJ Set).

SAMSTAG, 17. 8.

Space Stage: Jake Bugg, The Gaslight Anthem, Skunk Anansie, Billy Talent, Die Toten Hosen.

Green Stage: Little Boots, Jonathan Jeremiah, Max Herre, James Blake, Hurts, Tricky, Nick Cave & The Bad Seeds.

INFOAlle weiteren Acts, einen genauen Zeitplan und Informationen bezüglich An- und Abreise finden Sie auf www.frequency.at.Die Komfort-Tickets sind bereits ausverkauft. In den anderen Kategorien gibt es noch Restkarten. Erhältlich sind sie unter 01/96 0 96 oder www.oeticket.com.

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