Amy Lee von Evanescence: "Metal braucht Erneuerung"

Die Evanescence-Sängerin erklärt im Interview mit Kurier.at, weshalb Metal jetzt wieder Underground ist und sie von der Resonanz am Nova Rock überrascht war.

Eingängiger Metal, gepaart mit der kraftvollen Stimme von Frontfrau Amy Lee und einem Touch Gothic. Diese melancholisch-epische Mischung brachte 2003 den Durchbruch für die Nu-Metal-Band aus Arkansas. Ihr Debütalbum "Fallen" verkaufte sich über 17 Millionen Mal. Das ist neun Jahre her. Mittlerweile ist die Nu-Metal-Welle abgeflaut. Linkin Park, Limp Bizkit, Korn und Evanescence, die mit ihrem Sound noch vor wenigen Jahren die Charts dominierten, leben jetzt von Auftritten bei den Rockfestivals dieser Welt - und können sich nach wie vor über eine treue Fangemeinde freuen.
Nach fünf Jahren Pause, in denen Evanescence vor allem mit bandinternen Streitigkeiten der Gründungsmitglieder Amy Lee und Ben Moody, und ständig wechselnder Besetzung Schlagzeilen machten, meldeten sie sich vergangenen Oktober wieder musikalisch zurück. Mit dem selbstbetitelten Comebackalbum konnten sie trotz Platz eins in den USA zwar nicht an die alten Erfolge anschließen - insbesondere in Europa blieb "Evanescence" hinter den Erwartungen zurück - von Kritikern wurde das Album aber durchwegs positiv aufgenommen.

Die dazugehörige Tour zum Album dauert nun schon beinahe ein Jahr und führte die Mannen rund um Amy Lee am Wochenende auch zum Nova Rock Festival nach Nickelsdorf. KURIER.at sprach mit der charismatischen Frontfrau über ihren Auftritt, warum Metal einer Neuerung bedarf und befragte sie zu ihren Plänen für ein Soloalbum.

Ihr habt vergangenes Wochenende am Nova Rock gespielt - wie war euer Eindruck vom Festival?

Amy Lee: Ich hatte ehrlich gesagt nicht erwartet, dass das Publikum so gut sein würde, denn vor der Show waren die Leute wirklich ruhig. Aber als wir dann rauskame,n ging das Publikum erstaunlicherweise ordentlich ab. Jeder von uns dachte: "Hey, was für eine Überraschung!"

Zumal ihr ja auch ordentlich Konkurrenz auf der Hauptbühne hattet. Am Sonntagabend spielten dort zeitgleich mit euch zuerst Nightwish und unmittelbar danach Headliner Metallica.
Ja, das ist immer so - das sind wir schon gewohnt. Wenn wir auf Tour sind, gehen wir immer raus auf die Bühne und hoffen, dass die Leute für uns bereit sind. Wir wurden aber sehr gut aufgenommen – wir waren eigentlich darauf eingestellt von daherfliegenden Bechern und Flaschen weglaufen zu müssen, aber das war unbegründet.

"Heavy Metal war tatsächlich einmal Mainstream."

Kritisch betrachtet, brachte das diesjährige Line-Up am Nova Rock keine Neuerungen. Das Line-Up könnte genauso gut aus dem Jahr 2002 stammen – Limp Bizkit, Slayer, Nightwish sind seit Ewigkeiten bekannte Bands. Braucht Metal, oder Rock generell eine Erneuerung?
Ja, ich denke wirklich, dass Metal eine Erfrischung braucht. Das Problem ist, dass damals Metal-Musik noch im Radio gespielt wurde. Aber jetzt hört man die Songs nicht mehr, außer man sucht nach ihnen und findet sie auf eigene Faust. Im Radio wird jetzt aber nur noch Nicki Minaj und Lady Gaga gespielt. Ich denke die meisten heavy Songs wurden deswegen berühmt, weil sie gespielt wurden. Heavy Metal war tatsächlich einmal Mainstream – das kann man sich jetzt nur mehr schwer vorstellen.
Es liegt am System, das wirklich am Boden liegt und in dem kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Ich meine, was den Rock’n’Roll betrifft: Wir waren als erstes da. Wir sind die Leute – das muss nur noch das Radio begreifen. Metal ist wieder Underground, aber das liegt nicht daran, dass es keine Fans gäbe. Das sieht man doch an den großen Festivals: Bei Rock am Ring sind jeden Tag 85.000 Menschen.

Das schlägt sich natürlich auch in den Verkaufszahlen nieder. Das aktuelle Album (Anm: "Evanescence", erschienen im Oktober 2011) ist zwar in den USA wieder Platz eins gewesen, hat sich in Europa aber nicht so gut verkauft wie die beiden Vorgänger. Glauben Sie, dass sich auch der Musikgeschmack der Fans in Europa verändert hat?
Ich glaube nicht, dass sich die ganze Welt verändert hat, nur die Medien sind jetzt anders, spielen andere Songs. Was die Musik betrifft, gibt es sicherlich einige Neuerungen, einige neue Sounds, die ich liebe. Was heute aber mehr denn je im Vordergrund steht, ist die wirtschaftliche Lage. Die Labels wollen kein Geld mehr für neue Ideen ausgeben. Sie können sich einfach keine Experimente mehr leisten und pushen deswegen nur Songs im Radio, von denen sie sicher sind, dass sie auch funktionieren. Das wird sich aber nie ändern, solange nicht jemand aufsteht und versucht einen Unterschied zu machen.

Und gibt es denn Ihrer Meinung nach eine neue Rock- oder Metalband, die diesen Unterschied machen könnte und die Sie empfehlen?
Also meine Lieblings-Heavy-Band sind die Deftones. Ihre Platte (Anm: Diamond Eyes) ist jetzt zwar schon wieder zwei Jahre alt, aber ich höre sie immer noch gerne. Übrigens hat Nick (Anm: Raskulinecz), der auch unser neues Album produzierte, mit den Deftones gearbeitet.

"Songwriting hat viel mit Vertrauen zu tun"

Im Moment tourt Evanescence durch ganz Europa.  Wie versteht ihr euch untereinander?
Wir verstehen uns großartig. Dieses Album zu machen war wirklich eine neue Erfahrung für mich. Wir kannten uns schon alle - arbeiteten aber zum ersten Mal gemeinsam an Songs – das hat sehr viel mit Vertrauen zu tun. Jeder hatte seine Ideen, die einfach großartig miteinander funktionierten – das ist ja nicht immer der Fall. Bis dahin habe ich die Lieder großteils alleine geschrieben, diesmal brachten jeder seinen Teil ein - und das Ergebnis war wirklich gut. Das ist ein gutes Gefühl – aber es war auch eine Herausforderung für mich, weil ich den Leuten vertrauen musste. Du machst dich selbst verwundbar, wenn du mit Ideen ankommst, die den anderen vielleicht nicht gefallen könnten.

Wenn Sie nicht die komplette Kontrolle haben.
Ja (lacht).

Haben Sie auf der anderen Seite eigentlich Pläne für eine Soloalbum und vielleicht auch schon eine Idee, wie das klingen könnte?
Ich hab noch nichts Konkretes in Planung, aber ich denke es ist sehr wahrscheinlich, weil einfach viele Songs, einige Ideen, die ich habe nicht zu meiner Vorstellung von Evanescence passen. Ich meine, ich hatte immer einen breitgefächerten Musikgeschmack und ich denke ich werde immer hungriger nach einer Veränderung. Eigentlich sieht man das ja auch bei unseren Alben – auch die haben sich über die Jahre verändert. Mit neuen musikalischen und emotionalen Aspekten. Ich kann mir auch gut vorstellen, etwas komplett anderes zu machen, habe aber noch keine Ahnung wie das klingen könnte.
Wenn ich toure, bin ich komplett im Showmodus, erst wenn wir wieder zur Ruhe kommen, kann ich durchatmen und mich neu inspirieren lassen.

Als ihr 2003 berühmt wurdet, war Facebook noch kein Thema. Mittlerweile habt ihr dort fast 15 Millionen Fans, postet private Fotos und gebt Einblicke in eure Tour. Haben Facebook und Soziale Medien das Verhältnis von Künstler und Fans verändert?
Ich finde Facebook großartig. Ich habe zwar kein persönliches Profil, nutze es nur fürs Business, also für Evanescence - ich habe also keine Ex-Freunde, die aus dem Unterholz gekrochen kommen (lacht) - aber als Band ist es wirklich nützlich, denn was die Leute heute mehr denn je wollen, ist dich wirklich kennen zu lernen. Das kann schon auch gruselig sein, ist aber auf der anderen Seite auch wirklich fantastisch – weil du jetzt die Möglichkeit hast den Fans Dinge zu zeigen, die früher einfach nicht möglich waren. Du kannst Dinge, die dir am Herzen liegen auf direktem Weg und ohne Zensur einfach sagen – das ist unbezahlbar.

Also schreiben Sie wirklich selber auf dem Evanescence-Profil?
(lacht) Nein, ich tweete nur selber.

Weiterführende Links

Mehr zum Thema

  • Hintergrund

  • Hintergrund

Kommentare