Strunk und Schrenk inszenieren "Killing Carmen" an der Volksoper: "Jeder Mensch zählt“

Man kann, man muss sagen: Das Burgtheaterpublikum war schockverliebt. Nils Strunk und Lukas Schrenk inszenierten dort zuerst eine „Zauberflöte“ und dann die „Schachnovelle“, und „der Jubel bei der Uraufführung kam aus tiefstem Herzen“, wie der KURIER von letzterer berichtete.
Nun nehmen sich die beiden in der Volksoper eines weiteren superbekannten Stoffes an: „Killing Carmen“ erzählt Bizets Hitoper 13 Jahre später weiter. Im Sommer gab es eine Preview.
KURIER: Es war dann doch ein erstaunlicher Erfolg, wie viele Menschen zu „Killing Carmen“ am Tag vor dem großen Fest auf die Donauinsel kamen.
Strunk: Es war irre voll! 3000 Leute. Das war auch für uns eine große Überraschung. Wir haben immer gedacht, wir machen das vor 200 Menschen, die sich da auf die Donauinsel verirren, und es wird ein netter Abend. Das war auch für uns wertvoll.

Es ist aber auch ein wirklicher Opernhit, bei der jeder die Melodien kennt – und ein problematischer Stoff.
Strunk: Ja, die Ansicht verbreitet sich zunehmend. Wir glauben aber, dass damit eher die Rezeption der Oper gemeint ist als die Oper selbst. Denn wenn man diese genau betrachtet, dann ist sie außer den letzten gesungen Worten eine ganz andere Erzählung als die über einen Femizid. Die Oper ist im besten Sinne reich an tollen Widersprüchen, die der Mensch eben in sich trägt, gerade in der Figur Carmen. Die Oper war für ihre Zeit extrem avantgardistisch, eine antibürgerliche Vision mit einem Frauenbild, das provoziert hat. Und, dass der Don Jose eigentlich Priester war, war damals wohl der größte Affront gegen die Kirche, den man liefern konnte. Den Femizid muss man nicht durchwinken, das tun wir auch nicht. Das ist ein Fakt, und es ist grauenvoll, dass sich das immer wieder wiederholt.
Schrenk: Problemtisch finde ich, wenn man den Mord romantisiert, wenn man den Mörder als Opfer hinstellt und dem eigentlichen Opfer die Schuld zuweist. Das sehe ich in manchen Inszenierungen, auch in der Rezeption. Aber im Original steckt das nicht drin.

Wo setzt denn „Killing Carmen“ nun an?
Schrenk: Die Oper endet ja mit dem Mord, eigentlich damit, dass Don Jose noch ein paar Zeilen singen darf, seine Trauer, sein Leid, seine Liebe noch mal besingt. Und dann wird man damit entlassen. Wir haben uns gefragt: Was ist eigentlich danach? Deshalb steigen wir 13 Jahre später ein, in der Bar von Lillas Pastia. Es ist der Tag, an dem der Mörder Don Jose hingerichtet werden soll. Und einige Charaktere, die in dem Ort noch leben oder auch nicht mehr dort leben, treffen sich in dieser Bar und lassen noch mal Revue passieren, was damals passiert ist.
Und was ist damals passiert – aus dieser Sicht?
Strunk: Erinnerung ist natürlich immer Verklärung. Aber dadurch, dass es verschiedene Figuren sind, sind es natürlich auch verschiedene Perspektiven. Wir verstehen Theater nicht in dem Sinne, dass man eine klare Aussage machen muss, die man dem Publikum um die Ohren haut.
Schrenk: Vielmehr dass man Dinge thematisiert, aufzeigt durch verschiedene Mittel, verschiedene Perspektiven und eigentlich vom mündigen Zuschauer ausgeht, der sich selber ein Bild machen kann.

Manchmal hat man den Eindruck, die Menschen im Publikum wollen genau das nicht, sondern die Oper so vorgespielt bekommen, wie sie sie aus ihrer Jugend kennen. Ist das nicht gerade bei so einem Riesenhit wie Carmen heikel?
Strunk: Wir haben bei der „Zauberflöte“ im Burgtheater auch geglaubt: Dafür werden wir an der Pestsäule aufgehängt (lacht).
Aber jetzt ist es die Carmen in der Volksoper!
Strunk: Ja, das wird sicherlich anders. Wir glauben auch nicht, dass uns das so leicht gemacht wird. Wir sind vorbereitet darauf, dass das durchaus für manche gar nicht geht, was wir machen. Und ich finde das auch total gut, dass noch irgendetwas heilig ist! Ich bin sehr froh über Tabus, über Wände, an denen wir uns die Finger blutig kratzen dürfen. Denn sonst liegt man ja eigentlich in einer Gummizelle, in der alles wurscht ist. Ich verstehe jeden, der sich ärgert, so ging es mir oft selbst mit dem Regietheater: Da ist oft so vieles egal. Aber an der Oper ist die Musik noch ein Heiligtum. Da darf man keine Note umschreiben.
Was ihr bei „Killing Carmen“ aber tut...
Strunk: Aber diese Werke sind ja alle nicht als Heiligtümer entstanden! Bizet musste die weltberühmte „Habanera“ an einem Tag nachliefern und wollte sich dafür bei einem Volkslied bedienen. Aber er hat aus Versehen ein Lied von seinem Zeitgenossen Sebastián Iradier hergenommen, dem Komponisten von „La Paloma“, das hat Bizet erst später bemerkt. Vieles an den Opern ist ja mit heißer Nadel gestrickt. Und wir sagen dann, das ist Kanon, Hochkultur, das muss genau so bewahrt werden.
Schrenk: Mich würde ja interessieren, was Bizet oder Mozart dazu sagen würden, dass wir ihre Werke jetzt Jahrhunderte später immer noch genauso spielen. Würden sie sagen: Das gehört so? Oder wären sie überrascht darüber? Wären sie dafür, dass wir eingreifen?

Mozart wohl schon. Aber der sitzt nicht in der Premiere.
Strunk: Ich möchte dem Publikum einladend sagen: Wir versuchen hier wirklich eine Hommage. Wir erzählen die Geschichte.
Schrenk: Wir nehmen den Stoff ernst, es ist keine Dekonstruktion, keine Ironisierung. Es ist eine Hommage, eine Verneigung.
Strunk: ...und eine Show. Und die Original-Carmen gibt es ja auch gerade an der Volksoper. Die sollte man sich unbedingt auch noch anschauen.
KURIER: Was soll von „Killing Carmen“ im Publikum übrig bleiben?
Strunk: Jeder Mensch zählt. Egal ob es jetzt im Freundeskreis ist, in der Sozialarbeit oder im Sudan. Carmen ist eigentlich ein humanistisches Werk, dass die Frage nach Freiheit stellt.
Schrenk: Und wenn ein Mensch stirbt, stirbt eine ganze Welt mit ihm. Deshalb sieht man bei uns die ganze Oper in Rückblenden. Das ist die Welt, die mit Carmen gestorben ist.
Strunk: Und wenn Don Jose an der Todesstrafe stirbt, stirbt auch eine ganze Welt. Wir sind große Feinde der Todesstrafe. In unserer Gesellschaft müssen Menschen aushalten, dass ein Mörder weiterlebt und dann auch noch vom Staat im Gefängnis ernährt wird. Es ist ein unglaublicher Vorgang, den man uns Menschen abverlangt. Für die Angehörigen des Opfers muss das unter dem Schlimmsten sein. Aber wir glauben daran: Jeder Mensch zählt.
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