Museumschef Hollein im Interview: Die Herausforderungen in New York

Museumschef Hollein im Interview:  Die Herausforderungen in New York
Max Hollein tritt Anfang August seinen Job als Direktor des Metropolitan Museum in New York an.

Das 1872 gegründete „Met“ ist mit 7,35 Millionen Besuchern im Jahr  das größte Museum der USA. Das Haus am Central Park mit einer der bedeutendsten Kunstsammlungen der Welt kämpft mit finanziellen Problemen. Der Wiener Max Hollein soll – nach zwei Jahren als Leiter der Fine Arts Museums of San Francisco – das „Met“ jetzt in die Zukunft führen.

KURIER: Sie gelten als Sanierer und waren zuletzt in San Francisco. Wie ist Ihre Bilanz?

Max Hollein: Das Museum dort ist eines der großen Häuser in den USA, allerdings war es in einem etwas komplizierten Zustand. Und ich fand, dass es als Institution noch deutlich mehr Potenzial hat, als bisher ausgespielt wurde. In den letzten zwei Jahren ist dort viel passiert. Das Budget ist konsolidiert, das Managementteam erneuert, das Programm wurde neu aufgestellt. Man kann aber noch viel dort tun. Es gab auch keinen Grund für mich, dort wegzugehen, außer dieses einmalige Angebot vom Met, das ich annehmen musste.

Wie sehen Sie den Status des universellen, alle Sparten und Genres umfassenden Museums?

Es ist natürlich faszinierend, als Direktor mit dem Met zu einem Zeitpunkt arbeiten zu können, an dem die Frage virulent ist: Was ist ein enzyklopädisches Museum, und wie geriert es sich heute? Die Idee des enzyklopädischen Museums ist eine Idee der Aufklärung, entstanden vor 200 Jahren. Mittlerweile ist das Grundprinzip, die Kulturen der Welt an einen Ort zu bringen und an diesem Ort dann nur ein vermeintlich kongruentes Narrativ darzustellen, wie sich die menschliche Kulturgeschichte stringent entwickelt hat – quasi von Ägypten nach Griechenland dann Rom und so weiter – obsolet.

In unserer Zeit der Globalisierung gibt es nicht mehr diese eine vermeintlich valide, eurozentrische Erzählung der Entwicklung der Kulturen der Welt.

Genau. Die Aufgabe eines enzyklopädischen Museums ist heute nicht mehr, alle Kulturen der Welt an einen Ort zu bringen, sondern über diese Kulturen multiple, verschiedene, parallele Geschichten zu erzählen – und das an einem Ort. Das ist eine der Grundaufgaben, die Museen dieser Art lösen, anbieten und darstellen müssen, um wirklich auch ein Museum für die Welt zu sein. Es ist faszinierend, dass man in enzyklopädischen Museen aus verschiedenen Perspektiven und Blickwinkeln erzählen kann und sich komplexe Verbindungslinien entwickeln. Ich bin ein großer Fan von Akira Kurosawas Film „Rashomon“, der ein Geschehen auf vier verschiedene Arten erzählt – und immer wieder ist es ein und dieselbe Geschichte. Für mich persönlich ist das enzyklopädische Museum keineswegs obsolet, ganz im Gegenteil: Aber es ist eine andere Fragestellung, eine andere Erwartungshaltung, der es sich stellen muss. In einer Zeit, wo wir über Kulturen anderer nicht nur viel mehr lernen, sondern auch verstehen müssen, werden diese Museen noch wichtiger als sie es vorher waren, als wir alles aus einer westlichen Perspektive gesehen haben. Das bedeutet auch, dass jede neue Sammlungspräsentation aus multiplen Blickwinkeln zu sehen ist.

Sie haben zuletzt Gustav an den Pazifik gebracht. Sind vergleichbare Kooperationen auch im Met zu erwarten?

Das Met bin ja nicht nur ich, es besteht insbesondere auch aus einer beeindruckenden Anzahl hoch spezialisierter und bestens vernetzter Kustoden in 17 Abteilungen. Wir werden sicher mit Österreich auch Projekte in Angriff nehmen – in Bezug auf Wien 1900 bin ich selbst ja auch Trustee (etwa: Aufsichtsratsmitglied, Anm.) in der Neuen Galerie gegenüber auf der 5th Avenue. Österreichisch-deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts ist sicher auch im Met immer ein Thema. Gerade jetzt ist die Thayer Collection ausgestellt, die eine wichtige Sammlung von Klimt- und Schiele-Zeichnungen beinhaltet und eine Schenkung ans Met war.

Haben sie im Met primär einen Managementjob oder wird man Ihre Handschrift auch im Ausstellungsprogramm sehen?

Formal ist Zweiteres stärker. Seit meinem 31. Lebensjahr war ich immer Direktor und CEO, also Geschäftsführer mit vielen administrativen Aufgaben. Im Met ist es jetzt eine Doppelspitze mit mir als Direktor für den wissenschaftlichen, inhaltlichen und damit den stärker nach außen wirkenden Bereich. Und einem President und CEO: Dan Weiss bearbeitet stärker die Aufgaben Verwaltung und Finanzen. Die primäre Erwartungshaltung mir gegenüber ist sicher, die inhaltliche, wissenschaftliche, kuratorische Handschrift des Museums weiterzuentwickeln. Das hat neben dem Ausstellungsprogramm und der Sammlungspräsentation auch viel mit Ankäufen, der internationalen Strategie, edukativen und digitalen Angeboten zu tun.

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Wie balancieren Sie die Pole Wissenschaft und Publikumsmaximierung aus?

Museen erfüllen so viele verschiedene Aufgaben, dass es für mich kein Ausbalancieren ist, sondern ein Erfüllen von multiplen Erwartungshaltungen. Ein Museum, insbesondere das Met, ist eine hoch wissenschaftliche Anstalt. Und natürlich ist das Met einer der größten Tourismusmagneten in Manhattan. Das heißt, es gibt ganz unterschiedliche Verbindungen und langjährige Beziehungslinien zu verschiedenen Nutzergruppen. Das Met hat etwa eine der größten kunstwissenschaftlichen Bibliotheken der Welt, was der normale Besucher nicht nutzt oder sieht. Für mich ist immer interessant: Wenn man auf der Straße Leute fragt, was sie über ein x-beliebiges Museum denken, dann kriegt man an einem Tag unterschiedliche Antworten. Der eine sagt: Das ist eine verstaubte wissenschaftliche Institution, da geh ich gar nicht hin. Ein anderer wird sagen: Das ist eine Event-Partyburg geworden. Beide reden über denselben Status. Aber es ist eine total unterschiedliche Wahrnehmung. Nicht für jeden ist alles, was ein Museum anbietet, relevant. Und Museen müssen diese unterschiedlichen Angebote und Nutzerverhalten differenziert ansprechen. Dass es aber dieses breit gefächerte Angebot ist, halte ich für eine Errungenschaft.

Im Met wurde die Digitalabteilung ihres Vorgängers als Kostenfaktor zum Problem. Wie viel Digitalisierung ist im Museum notwendig und sinnvoll?

Das Ziel ist für mich nie, mithilfe der Digitalisierung die gesamte Sammlung zugänglich zu machen. Damit ist noch nichts Relevantes passiert. Die Digitalisierung hilft für zwei Dinge: Dass die Funktion des Museums für den Besucher deutlich außerhalb des physischen Perimeters abrufbar und empfangbar wird. Und dass sich die Qualität der Bildung, der Vermittlung und das Erzählen der Geschichten ganz anders skalieren lässt. Für mich muss Digitalisierung a priori eine edukative Vermittlungsaufgabe erfüllen. Anstatt die gesamte Sammlung mit zwei Millionen Objekten online zugänglich zu haben, ist es viel interessanter, die 10.000 wichtigsten Objekte mit interessanten Formen der Vermittlung erlebbar zu machen. Die Digitalisierung – und das ist die große institutionsweite Herausforderung – erfordert ein neues „storytelling“, eine neue Form der Vermittlung. Dann steckt darin natürlich ein riesiges Potenzial. So wird das Museum zu einem Ort, der nicht nur physisch besucht werden muss, sondern der seine Vermittlungsaufgaben schon vorab und außerhalb erfüllt.

Zum Beispiel?

In Frankfurt und San Francisco haben wir digitale Vorabkurse für Ausstellungen gemacht. Ich war immer überrascht, dass viele Besucher völlig unvorbereitet zu Sonderausstellungen kommen. Das ist kein Vorwurf, aber bei jedem Austria-Rapid-Match wissen die Leute schon vorher die Aufstellung, haben das Interview mit dem Trainer gelesen und sich bestens vorbereitet. Aber beim Besuch einer Rembrandt- Ausstellung heißt es dann oft erst einmal: Wo wurde der geboren? Da haben wir ein Medium entwickelt, einen halbstündigen Vorabkurs, online anrufbar, der etwas über das Thema der Ausstellung und die damalige Zeit erzählt, um dann ein reicheres Erfahren der Ausstellung zu ermöglichen: Das edukative Programm beginnt also schon lange vor dem Besuch der Ausstellung.

Wer macht es Ihrer Meinung nach im Social-Media-Bereich richtig?

Das Met war und ist hier ein wichtiger Faktor. In Frankfurt haben wir für den deutschsprachigen Raum ebenfalls einige Meilensteine gesetzt. Für mich war auch die Open Policy des Rijksmuseums in Amsterdam eine wichtige Position, die das Met jetzt auch verfolgt: Alles ist öffentlich und Tantiemen-frei für die Nutzung. Und ich denke, dass auch die Tate in London ein sehr gutes Social-Media-Programm insbesondere im Bereich der bewegten Bildformate macht.

Eine Frage zum Vergleich der Kulturfinanzierungssysteme in den USA und Europa: Ist Fundraising krisenfester als es staatlich basierte Subventionen sind?

Ich finde beide Systeme valide und gut. Das US-System funktioniert dann hervorragend, wenn es gelingt, eine Multiplizität und eine Diversifikation bei den Förderern zu erzeugen. Das ist auch die große Aufgabe eines Museumsdirektors: Nicht nur möglichst viel Geld zu beschaffen, sondern auch möglichst viele verschiedene und unterschiedliche Förderer zu akquirieren, um eine Balance herzustellen. Wenn die Diversifikation gelingt, halte ich das US-System für weniger anfällig für temporäre Krisen. Hätte etwa nicht Emmanuel Macron die Wahl in Frankreich gewonnen, sondern Marine Le Pen, hätte sie einen direkten Einfluss auf die französische Kulturpolitik und die Besetzungspolitik der französischen Museen. Das könnte im US-System nicht passieren.

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Auch in Österreich gibt es immer wieder die Aufforderung, Dinge auf Sponsoren auszulagern, da Budgets nicht erhöht werden können. Wie weit ist dieser Weg gangbar?

Ich will keine Ratschläge geben. Doch wenn man die Aktivität etwa der Museen in San Francisco und New York in Hinblick auf Neuerwerbungen ansieht und mit den Aktivitäten der großen Museen in Österreich und Europa vergleicht, dann ist da schon ein großer Unterschied an Möglichkeiten festzustellen. Ich glaube, dass das US-System ein größeres Potenzial hat, nicht nur den Status quo zu erhalten, sondern auch weiter vehement voranzuschreiten. Für europäische Institutionen wird sich die Erwartungshaltung, dass die öffentliche Hand die Finanzierung von Kulturinstitutionen vehement erweitert, nie erfüllen. Das kann man beklagen, aber das ist kein proaktives, zielgerichtetes Handeln. Hier ist zusätzliches mäzenatisches Handeln gefragt. Ich glaube, dass wir in Frankfurt gezeigt haben, dass das durchaus aktiviert werden kann.

Ein geplanter Erweiterungsbau könnte Platz schaffen für die Sammlung kubistischer Kunst des Kosmetik-Erben Leonard Lauder, der dem Met vor vier Jahren 78 Werke etwa von Pablo Picasso, Georges Braque, Juan Gris und Fernand Léger geschenkt hat. Wird der Zubau kommen oder das Schicksal des Entwurfes ihres Vaters für ein Guggenheim-Museum in Salzburg erleiden, also am Ende nicht realisiert werden?

Nein, nicht am Met. Die Weiterentwicklung des Bereichs moderner und zeitgenössischer Kunst im Met ist eine wichtige Aufgabe in den nächsten Jahren. Museen sind ja a priori sammelnde, also fortwährend wachsende Einheiten. Das macht sie als Kulturinstitutionen – im Vergleich zu Oper, Theater oder Konzerthaus – noch mal komplexer, interessanter, aber auch herausfordernder.

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